Gestern waren die Nachrichten vom Reaktor ziemlich entmutigend.
Eine hoch radioaktive Wasseransammlung außerhalb des Reaktorgebäudes. Plutoniumfunde in Bodenproben auf dem Reaktorgelände.
Automatisch fange ich wieder mehr an zu beten.
Und gleichzeitig sitzt mir der Gedanke im Kopf: haben wir das Recht, verschont zu bleiben? Wir leben aus Gottes Gnade, jetzt und auch sonst.
Die Einwohner der Sperrzone drängen im Moment wieder, noch einmal, zurück in ihre Häuser. Wenigstens noch etwas retten. Nach einem Vermissten suchen. Vielleicht doch einfach Normalität ertrotzen.
Die Sehnsucht nach Normalität ist groß, auch bei mir. Gemeinde im Internet ist nicht Gemeinde. Eigentlich wollte ich an diesem vergangenen Wochenende mit Familien an den Fuji fahren.
So bin ich wenigstens zum Gottesdienst in die Kreuzkirche gekommen. Wir waren 16 Personen und es hat unglaublich gut getan, miteinander zu singen und zu beten und auf die Worte, das Wort Gottes zu hören, predigen zu dürfen.
Dabei sind wir ja nur im Ablauf unseres Alltagslebens ein wenig gestört. So viele Menschen aus Nordjapan müssen ein ganz neues Leben anfangen, müssen jetzt entscheiden, wohin sie gehen wollen, wo ihre Kinder zur Schule gehen sollen, ob sie allein oder mit ihrem ganzen Ort neu anfangen wollen.
Die Präfekturen in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten fangen jetzt an, provisorische Häuser aufzustellen für diejenigen, die möglichst nah an der Heimat bleiben möchten. Wer hier Land besitzt, eine Firma oder Fischereirechte, der kann nicht einfach irgendwohin. Aber es wird Monate, Jahre dauern, bis die Orte halbwegs wieder aufgebaut sind.
Jemand fragte mich, wie man hierzulande religiös auf die Ereignisse reagiere.
Christen halten natürlich Gebetsgottesdienste und unterstützen die Geschwistergemeinden in den betroffenen Gebieten. Auch buddhistische und schintoistische Organisationen unterstützen mit Hilfsgütern Tempel und Schreine im Katastrophengebiet.
Öffentliche Trauerbekundungen gibt es nicht. Wohl natürlich auch, weil bisher nicht einmal alle Toten geborgen wurden. Die Toten, die identifiziert wurden, wurden ihren Familien zur Bestattung übergeben. An manchen Orten haben die Krematorien lange Wartezeiten. So beerdigt man die Verstorbenen in langen Reihengräbern, um sie später zu kremieren.
Die Asche der verstorbenen Ahnen im Hausschrein aufzubewahren, bzw., wenn diese auf den Friedhof gebracht wurde, die Ahnentafeln im Hausschrein aufzustellen, ist ein wichtiger Teil japanischer Identität. Die Ahnen werden empfunden wie Mittler zwischen Gott und Menschen, wie Schutzengel für das eigene Leben.
Wenn jetzt freiwillige Helfer in den Trümmern nach lebenswichtigen Dingen suchen, legen sie nicht in erster Linie Wertgegenstände an die Seite, um sie später in Turnhallen auszustellen, damit ihre Besitzer sie dort finden können. Wichtiger sind die Tafeln mit den Namen der Vorfahren und die Fotos, auf denen sie abgebildet sind.
Das Schrecklichste, woran ich oft denke ist, wenn Angehörige keine Spur ihrer vermissten Lieben finden können.
Viele Menschen haben die erste Welle überlebt und sind dann zu früh wieder zu ihren Häusern gegangen und dort von der zweiten oder dritten Welle erfasst worden. Manche als Tsunami-Rettungsgebäude ausgewiesene Bauten lagen zu niedrig und wurden mitsamt den Menschen, die dort Hilfe gesucht hatten, weggespült.
Ein Feuerwehrhauptmann schickte seine 40-köpfige Mannschaft aus, um ein Fluttor zu schließen und muss nun mit der Schuld leben, dass alle vermisst sind.
Gerettet wurden viele, auch Schülerinnen und Schüler, die nach dem ersten Beben nicht lange überlegt haben, sondern sofort losgerannt sind auf höheres Gelände.
Selbst 10 Meter hohe Deichmauern wurden überspült.
Und immer wieder kleben wir an den Bildschirmen, um die neuesten Nachrichten von Fukushima 1 zu bekommen. Leider nicht ermutigend.
Ich hoffe nur, dass dieses Desaster zum Anlass genommen wird, Strukturen zu verändern, Sicherheitsstandards wirklich zu kontrollieren und sich nach und nach alternativen Energieträgern zuzuwenden.
Im Erdbebengebiet sind viele Kirchen zerstört. Z.Zt. sichten wir im Gemeindekirchenrat die vielen Berichte aus den verschiedenen Kirchen, um dann zu entscheiden, ob wir über die allgemeine Spendenweiterleitung hinaus auch ein bestimmtes Projekt in unsere Verantwortung nehmen können.
Gestern sah man endlich auch in den japanischen Medien Protestaktionen, Antiatomkraft-Demonstrationen, wie sie hier lange Tradition haben, aber in den Medien kaum sichtbar gemacht werden.
Am Sonntag habe ich noch einmal den Apostel Paulus zitiert: Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Jetzt ist die Phase der Geduld.
Herzlichst Ihre
Elisabeth Hübler-Umemoto
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