Sonntag, 25. Dezember 2011

Weihnachten 2011

17500mal wurde unser Blog gelesen seit er zum ersten Mal im Netz stand, kurz nach dem Schicksalstag 11. März 2011. Wir haben viele Spenden aus Deutschland und dem Rest der Welt bekommen und weiterleiten können. Wie bisher werden wir auch weiterhin an dieser Stelle von unseren Aktionen und Kontakten in Iwate berichten. Die Menschen dort brauchen weiterhin unsere und Ihre Unterstützung.
Doch auch unser Gemeindeleben in Tokyo soll hier ab und zu Thema sein.
Wir hoffen, dass unser Blog auch im neuen Jahr für Sie interessant sein wird. Bitte bleiben Sie uns gewogen. Yoroshiku onegai shimasu.
Wir wünschen allen unseren Lesern gesegnete Weihnachten und ein gutes Neues Jahr!

Sonntag, 18. Dezember 2011

Beethovens Neunte

Fahrtbericht Iwate, 10. - 12. Dezember 2011

von Jesper Weber

Am Sonnabend, den 10. Dezember, in aller Herrgottsfrühe fuhren Elisabeth Hübler-Umemoto, Naoto Umemoto und Jesper Weber mit einem mit Kuchen, Nikolaustüten und Weihnachtsschmuck bis zum Dach beladenen Toyota Wish, der für das Community Cafe Projekt in Ofunato bestimmt war, nach Iwate.

Nach einem kurzen Zwischenstopp am Chusonji-Tempel (Weltkulturerbe) in Hiraizumi erreichten wir am frühen Nachmittag das Fureai-Machiai-Shitsu in Ofunato, wo wir die Kuchenspende der Deutschen Schule Tokyo-Yokohama abgaben und einige der in Brandenburg gestrickten Stofftiere wiedertrafen. Eine Tasse Tee brachte uns auf den Weg nach Kamaishi, wo wir kurz an der Shinsei-Kirche hielten und dann weiter zum Quartier im Privathaus von Frau Inoue fuhren.

Ich stürzte in die Chorprobe zu Beethovens Neunter in der benachbarten Schule, die der diesjährige, provisorische Aufführungsort war. Die Hübler-Umemotos fuhren zum Bahnhof, um die Fahrkarten für die Rückfahrt zu regeln, und hatten dann vor dem Abendessen ein wenig Zeit zum ausruhen.

Die Aufnahme bei der Probe war überaus herzlich, mit viel Winken und Hallos von Herrn Goda, Professor Yamazaki und seiner Frau, dem Beethoven-Kommittee und einigen Mittelschülern und ihren Lehrern, die bei der Ausspracheprobe im November dabei waren. Der Sonnabend war der erste Probentag des sich aus Musikern aus ganz Japan zusammensetzenden Orchesters und damit auch die erste gemeinsame Probe vom Chor aus Kamaishi und einigen Angereisten und dem Orchester. Außerdem hatte gut die Hälfte der Mittelschüler, wie sich am Sonntag morgen durch Handzeichen herausstellte, nie zuvor ein Symphonieorchester erlebt.

Ich wurde Herrn Nakamoto zugeteilt und lief die zwei Tage von Probe und Aufführung wie in einer Mini-Polonaise hinter ihm her. Gemeinsam saßen wir zwischen Jagdhörnern und Chor und tauchten wie Maulwürfe nur für die dreißig Sekunden des sechsten Chorus auf („Freude schöner Götterfunken”), den wir ungeübt mitsingen durften.

Die erste halbe Stunde der Probe wurde dazu benutzt, die Teilnehmer vorzustellen und von Repräsentanten der jeweiligen Gruppen ein kurzes Grußwort sprechen zu lassen. Ich kam nicht an die Reihe und fand das angemessen so, aber zum Ende der Probe griff der Vorsitzende des Beethoven-Kommittees ein Mikrofon und entschuldigte sich, er hätte da jemand vergessen. Also habe ich doch noch einige kurze Worte gesprochen, in Ergänzung zum Grußwort, das von uns im Programm stand.

Die Probe selbst war recht wüst. Es ging dem Dirigenten, Prof. Yamazaki, wohl mehr darum, alle zusammen zu bringen, als an Feinheiten zu arbeiten.

Zurück bei Frau Inoue gab es ein ausgiebiges Abendessen, nach dem wir recht erschöpft in die Betten und Futons fielen.

Am Sonntagmorgen fuhren die Hübler-Umemotos zum Gottesdienst in der Shinsei-Kirche, ich ging in die Probe. Zuerst probten Orchester und Chor getrennt, die Chorprobe begann mit einem Warmsingen: zuerst ein Summen von Tonleitern, dann Singen der Tonleitern mit „No-No-No-No-No-No-No“ als Text, teils alle zusammen, teils nur die Erwachsenen oder Schüler, teils in Stimmen aufgeteilt. Endlich dann Passagen aus dem Schlusschor. Mit über 180 Mittelschülern und 120 Erwachsenen war das schon ein kleines Konzert für sich. Abschließend wurden wir gewarnt, uns ja nicht gehen zu lassen oder uns einzubilden, wir seien etwas besonderes und könnten davonkommen, mit weniger Inbrunst zu singen. 2011 war zwar viel passiert, aber trotzdem sei es nur die 34. Aufführung der Neunten Symphonie, nicht viel anders als die 33. oder die 35.

Wir gingen dann in die Turnhalle, wo das Orchester den Morgen durch geprobt hatte und deutlich besser zusammen spielte als am Vortag. Wir haben einmal Generalprobe mit dem vierten Satz gemacht und dann die Zugabe (ein japanisches Lied, „Miagete goran“) einstudiert, die vom Publikum mitgesungen wird. Fünf der Schüler mussten leider mit Husten und Fieber aus dem Verkehr gezogen werden, und einer konnte nachmittags nicht mit auftreten.

Nach einem Mittagessen von Onigiri und Umziehen – die Damen in langem, weißem Kleid, die Herren in schwarzem Anzug mit schwarzer Fliege – stellten wir uns im Gang auf. Der Mann neben mir schaute immer wieder in die Innentasche seines Jackets. Konnte er den Text noch nicht? Bei genauerem Hinsehen erkannte ich ein Foto einer Frau, auf das er schaute. Seiner Frau? Ich habe mich nicht zu fragen getraut.

Das Konzert begann um 13.30 Uhr. In der Turnhalle waren 1 250 Klappstühle fürs Publikum aufgestellt worden. Das entspricht ungefähr der Kapazität der überfluteten Stadthalle, die bisher Veranstaltungsort war. Mit dem Unterschied, dass die Stühle dieses Jahr aus allen Gymnasien von Kamaishi zusammen gesammelt werden mussten.

Am Eingang zur Halle stand das Rugby-Team von Kamaishi, die Kamaishi Seahawks. Jeder Sänger wurde mit Handschlag begrüßt. Vor Beginn des Konzerts gab es eine Schweigeminute. Am 11. Dezember waren es neun Monate seit der Katastrophe, und wenn die Sirenen um 14.46 Uhr aufheulen würde man gerade mitten im Stück sein. Es war wirklich mucksmäuschenstill, kein Flüstern und kein Füßescharren waren zu hören. Nach einem Grußwort durch den Bürgermeister von Kamaishi übernahm dann Prof. Yamazaki.

Zuerst gaben Orchester und Chor der Mittelschule zwei Gesangstücke, in der darauf folgenden Pause stellte der gesamte Chor sich auf – ich wieder in Polonaise mit Herrn Nakamoto.

Erster Satz... Zweiter Satz... Dritter Satz... Um kurz nach halb Drei begann der vierte Satz. Die Fernsehteams in der Gallerie wurden nervös. Und als hätte er darauf hindirigiert jaulten in der kurzen Orchesterpause, bevor zum ersten Mal das Freude-Thema erklingt, die Sirenen auf und erinnerten an 14:46 Uhr am 11. März 2011. Prof. Yamazaki hatte gerade die rechte Hand mit dem Dirigentenstab gerade in die Höhe gereckt, zögerte etwas, dirigierte dann aber weiter. Und um 14:49 Uhr antwortete der Bass den Sirenen: „O Freunde, nicht diese Töne! Sondern lasst uns angenehmere anstimmen und freudenvollere.” Und dann donnerten 300 Kehlen: „Freude!“

Kann es eine passendere Musik für diesen Tag geben?

Viele Tränen sind geflossen, sowohl während der Aufführung als auch in der Zeremonie für den Chor danach. Die meisten davon waren kathartisch. Prof. Yamazaki bedankte sich bei allen für die bewegenste Aufführung, die ihnen je gelungen war, trotz all der Zweifel und Ängste, die zu überwinden waren, und dennoch – und hier versagte ihm die Stimme – wünscht er sich, dass es so eine Aufführung nie wieder geben muss.

Ich finde den Begriff „historisch“ für Konzerte meistens überzogen. Hier war er angebracht, das war eine historische Aufführung, die allen Teilnehmenden noch lange im Ohr und Herzen schwingen wird.


Nach dem Konzert haben wir uns bei Frau Inoue mit Frau Maruki aus dem Vorstand der Shinsei-Kirche getroffen. Herr Maruki war auch dabei, er steht Pfarrer Yanagiya beratend zur Seite.

Eigentlich hatte auch Prof. Yamazaki uns eingeladen, an einem Umtrunk mit dem Beethoven-Kommittee teilzunehmen, was sich aber zeitlich nicht unter einen Hut bringen ließ. Er erwies uns die große Ehre, nach dem Umtrunk mit seiner Frau und zwei Freunden noch bei Frau Inoue vorbei zu kommen und zwei Stunden mit uns zusammen zu sitzen, obwohl er sehr müde gewesen sein muss. Viel Dankbarkeit für die Unterstützung durch die Kreuzkirche wurde uns entgegen gebracht.

Am Montag morgen lieferten wir zuerst drei Christstollen im Lehrerzimmer der Higashi-Chugakko ab, der Schule, die den Chor stellte. Danach zog ich mich als Nikolaus um und wir fuhren zum Osanago-Kindergarten im benachbarten Otsuchi, danach weiter in den Midori-Kindergarten in Otsuchi und wieder zurück nach Kamaishi zum Hort.

Herr Umemoto ging vor und erzählte den Kindern, draußen sei so jemand, der dem Weihnachtsmann ähnlich sähe, ob sie mal rufen wollten? Und gerufen haben sie!

Die Nikolaustüten, die Frau Boltze und Helferinnen gepackt hatten (leider weiß ich die Namen nicht, ich würde sie gerne hier erwähnen und ihnen allen danken), waren ein toller Erfolg. Im Osanago hat Frau Hakoyama, die Leiterin, Tränen vor Rührung vergossen, dass wir „soviel für die Kinder“ machen. Im Midori hatte mindestens ein Kind den Schokoladennikolaus schneller aus der Alufolie gewickelt, als ich „Ho, ho, ho“ rufen konnte. Alle Kinder wollten Hände schütteln, viele griffen und ließen nicht mehr los (im Osanago hat mir jemand kurz meinen Ehering abgeluchst), und im Hort klammerte ein Vierjähriger sich an mein Bein und flüsterte ganz verträumt: „Du riechst gut…”

Mit den Tüten kam Montag für Hunderte von Kindern Weihnachten, und die Erwachsenen drum herum haben sich fast noch mehr gefreut, die Kinder so glücklich zu sehen.

Zum Schluss der Fahrt haben wir am Bahnhof von Kamaishi Herrn Kinno, einem Vertreter des Community Cafes in Ofunato, den Toyota Wish übergeben. Danach ging es mit dem Shinkansen zurück nach Tokio.

Der bleibende Eindruck dieser Fahrt und aus der Arbeit der Kreuzkirche dieses Jahr ist, dass wir gegangen sind, um etwas zu geben, und selbst so enorm viel empfangen durften.

Hier ist nochmal der Link zu meinen Fotos

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Ein Dankeschön vom Osanago-Kindergarten

From: もみの木学園 [mail:osanago.mominoki@xyz.jp]
Sent: Monday, December 05, 2011 3:51 PM
To: Jesper Weber
Subject: ありがとう ございました



おかげさまで、床暖が使用できています。

まだまだ裸足というわけにはいきませんが、

ほんのりと温かい園舎で子どもたちは元気に過ごしています。

支援で頂いたカーペットを敷くと、ホットカーペットみたいになるので、

小さい組のこどもたちはその上に寝そべって絵本を読んでいます。

もうすぐ クリスマスですね。

わが園はキリスト教学園ではありませんが、

イエス様の生誕劇の練習をしています。



Dank Ihnen können wir die Fußbodenheizung benutzen.

Barfuß gehen wir zwar nicht,

aber unsere Kinder fühlen sich im warmen Gebäude sehr wohl.

Ein uns gespendeter Teppich ist damit sozusagen zum Heizteppich geworden,

die Gruppe mit den jüngsten Kindern liegt darauf und liest Bücher.

Bald ist Weihnachten.

Wir sind zwar kein kirchlicher Kindergarten,

üben aber ein Krippenspiel.



たくさんの励ましと祈りを本当にありがとうございます。



Vielen Dank für all die Ermutigung und Ihre Gebete.



心から感謝を申し上げます。わたしがいうのもおこがましい気がしますが



神様の祝福が 皆さんに訪れますように。



Wir danken Ihnen von Herzen. Und auch wenn es aus unserem Munde
vermessen klingen mag,

Der Herr lasse seinen Segen über Ihnen allen walten.

Sonntag, 20. November 2011

Abends als es dunkel ward

Der bleibende Eindruck von meiner Fahrt nach Kamaishi und Umgebung am zweiten November-Wochenende war, dass im Vergleich zur Fahrt nur zwei Wochen vorher am Ende Oktober plötzlich und spürbar die Stimmung der Menschen dort umschlägt und nun viel von Trauer und Schmerz sowie der Angst vor Depression und Vereinsamung gesprochen wird. Vielleicht liegt es daran, dass jahreszeitenbedingt die Nächte länger werden und die Menschen in Dunkelheit hüllen.

Hier einige persönliche Bemerkungen zu unseren „Themen“.

1. Kirchen:

Ich habe nach meiner Ankunft am Donnerstag in der Shinsei-Kirche übernachtet und ein langes Gespräch bis in die späte Nacht mit Pfarrer Yanagiya und seinem Bruder dort geführt. Das Eis ist gebrochen, sie wünschen eigentlich eine regelmäßige und möglichst langfristige Präsenz von uns, damit wir bessere Gelegenheit haben, an die etwas introvertierten Menschen in Tohoku ran zu kommen. Ich versuchte zu erklären, dass zu häufige Fahrten z.B. meinerseits uns Schwierigkeiten durch zu hohe indirekte Kosten bereiten könnten – und wurde vehement korrigiert, dass solche Reisen gar nicht als Verwaltungsaufwand aufgefasst werden dürften, sondern ein direkter seelsorgerischer Dienst von uns seien. Ich kann das spontan nachvollziehen, denn die Zahl der Helfer hat stark abgenommen und ein regelmäßiges Flaggezeigen und Eingehen auf die Menschen, auch ohne entsprechende Ausbildung, trifft nach meiner Erfahrung von nun fünf Fahrten auf viel Freude und Dankbarkeit. Mich grüßen mittlerweile mir nur ganz flüchtig bekannte Menschen auf der Straße und sagen Dank, dass die deutsche Kirche sich fortlaufend engagiert. In der Shinsei Kamaishi-Kirche selbst waren den ganzen Oktober keine Freiwilligen, so dass das Zelt auf dem Kirchenvorplatz, welches Gesprächsstation für alle Vorbeigehenden war, mangels Personal abgebaut werden musste. Seit Anfang November gibt es allerdings wieder einigen Zulauf.

Die Idee, der Kirche ein/zwei Fischerboot/e und/oder Motor zu stiften, die dann an Fischer in Kamaishi ausgeliehen werden können und durch Rückführung eines Anteils vom Fang den Neuaufbau der Kirche mitfinanzieren soll, wurde enthusiastisch aufgenommen. Ich habe am Sonntag nochmal mit dem Bruder gesprochen, er wird eruieren, was genau von Nutzen sein wird. Ebenfalls haben wir uns Sonntag geeinigt, dass wir von jetzt an eine Stelle zur Koordination der Freiwilligenarbeit (Details sind herauszuarbeiten) finanzieren wollen.

Der Kirche in Ofunato haben wir ebenfalls einen Besuch abgestattet, der aber noch nicht weit über ein erstes Hallo hinausging. Die Kirche selbst ist unbeschädigt, die Gemeinde aber in Geldnot, da Gemeindemitglieder nicht mehr wie zuvor durch Spenden unterstützen können. Pfarrer Muraya ist erst seit nach dem Beben dort, hat also auch noch keinen kompletten Einblick in die Nöte und Sorgen dort. Vielleicht lässt sich etwas mit dem Community Projekt (siehe unten) koordinieren.

2. Musik:

Am Donnerstag habe ich einer Gesangprobe der Erwachsenen für Beethovens Neunte beigewohnt, am Freitag eine Chorprobe der Mittelschüler geleitet (Schwerpunkt Aussprache). Das klingt alles schon sehr ordentlich! (Wird am Tag der Aufführung aber vielleicht komplett Bruch machen, denn nunmehr bin ich eingeladen, im Chor mitzusingen. Ich habe mich nach Kräften gewehrt, mein Japanisch hat aber nicht gereicht…)

Das Beethoven-Kommittee hat dankbar unser Angebot für finanzielle Hilfe angenommen, weiß aber noch nicht, in welcher Höhe rote Zahlen auf sie zukommen, und bittet uns um Geduld. Ich habe erklärt, dass wir auch nach der Aufführung ins Gespräch kommen können. Das fände ich persönlich sogar sehr sinnvoll: wir haben dieses Jahr mit Chorprobe tatkräftig geholfen, als nächsten Schritt helfen wir bei Begleichung von Rückständen und sichern so das Überleben und die Möglichkeit weiterer Aufführungen in den kommenden Jahren.

Meine Frau Kumiko, die am Freitag dazu kam, ist konzertreif ausgebildete Pianistin und hat an drei Orten musiziert: ausführlich im „Salon Yamazaki” bei Frau Inoue, dann kurz jeweils im Osanago-Kindergarten und der Shinsei-Kirche. Der bleibende Eindruck davon war, dass spontanes Musizieren nur für die gerade Anwesenden und ohne Druck, einen Ort vorzubereiten und ein Publikum zu werben, eine große Freude bereiten. Schauen Sie sich mal Frau Hakoyama, Leiterin des Osanago-Kindergartens, an. Rührung, Andacht, Freude, Dankbarkeit:

Film

Pfarrer Yanagiya kullerte beim gleichen Stück eine Träne über die Wange, da war ich nicht abgebrüht genug, um zu filmen oder fotografieren.

3. Kinder:

Die angebotene Grippe-Impfung wird nur durchwachsen angenommen. Laut Ärzteverband in Kamaishi sind genügend Dosierungen dieses Jahr für Tohoko reserviert worden (das erklärt vielleicht die Knappheit in Tokio). Der Kamaishi-Hort und der Hikari-Kindergarten in Miyako möchten unser Angebot annehmen, arbeiten aber noch an der Zahl der Impfungen und dem Termin. Der Osanago- und Midori-Kindergarten in Otsuchi haben fürs erste dankend abgewunken, weil Unicef dort die Impfungen subventioniert.

4. Meer:

Siehe oben Shinsei-Kirche.

Bei Stadtrat Goda habe ich Herrn Saito aus Kawasaki kennengelernt, ein Fischereiexperte, der auch das Agrar-Forst-Fischereiministerium berät. Ich werde mich in nächster Zeit einmal in Ruhe treffen, er arbeitet mit den Verwaltungen vor Ort und hat das persönliche Ziel, beim Wiederaufbau der Fischereiindustrie gleichzeitig die bisherigen mafiösen Strukturen aufzubrechen und einer jungen Generation den Weg zu ebnen. Ich kann noch nicht einschätzen, was und wieviel da dran ist, verspricht aber ein interessantes Gespräch zu werden.

5. Ofunato:

Das Gelände für das geplante Community Cafe haben wir uns angesehen und mit dem Koordinator vor Ort gesprochen. Ich habe viel kreative Energie und echte Hilfsbereitschaft gespürt, aber sie stecken noch in den Kinderschuhen. Ich werde das aufbereiten und dem Verband Deutsch-Japanischer Gesellschaften antragen.

6. Laut gedacht:

Die Lage stellt sich mir so dar, dass erste, existentielle Bedürfnisse gedeckt sind. Jetzt beginnt die Trauerarbeit, und viele sprechen von zunehmenden Depressionen. Unser Fokus für die kommenden Monate sollte auf seelsorgerischer Hilfe liegen, durch Unterstützung von Initiativen wie der in Ofunato, durch musikalische Veranstaltungen – das wird vor Ort immer wieder angesprochen -, denen wir nach Möglichkeit ein Element des Mitwirkens vom Publikum geben sollten, durch kontinuierliche und verstärkte Präsenz vor Ort und Gesten wie spontanem Musizieren, Singen aus unserem Gesangbuch nach dem Gottesdienst und anderen Freundschaftsbekundungen. Und wir sollten den Hinweis von Pfarrer Yanagiya mit Sorgfalt diskutieren, ob unsere Tätigkeit und Fahrten nach Iwate nicht vielleicht tatsächlich als direkte Verwendung von Spenden für seelsorgerische Unterstützung klassifiziert werden können.

Hier einige Zitate, die ich in Kamaishi aufgeschnappt habe:

„Im Notlager hatten wir keinerlei Privatsphäre, teilten aber ein Schicksal und konnten mit den Menschen um uns herum glücklich sein, überlebt zu haben. In den Behelfshäusern gibt es jetzt wieder Privatsphäre, dafür sitzt aber jeder für sich alleine mit seinem Schmerz.” (Prof. Yamazaki)

„Die Trauer ist so schnell vorausgeprescht, dass die Tränen anfangs gar nicht hinterher kamen.“ Prof. Yamazaki konnte erst einen Monat nach dem Beben zum ersten Mal weinen, davor war er von den Erfahrungen überwältigt. Auf dem kurzen Weg vom Notlager im Tempel zu den Ruinen seines Hauses hat er 66 Leichen gezählt, und sich nicht getraut, fest aufzutreten, weil ihm klar war, dass viele mehr im Schlamm unter ihm steckten. Die Blockade wurde gelöst, als eine Geigerin aus Morioka den Tempel besuchte und unangekündigt Tango spielte. In einer lokalen Zeitschrift ist ein Bild von ihm, wie er spontan und wie in Trance dazu tanzt. In der Nacht hat er dann geweint.

„Mit dem Schutt war es schöner.“ Pfarrer Yanagiya wünscht sich natürlich nicht wirklich Schutt und Schlamm wieder auf die Straßen, sondern beklagt, dass der Zusammenhalt der ersten Tage, Wochen und Monate rapide verloren geht. Mir selbst fiel auf, dass freie Flächen vor der Kirche nun wieder als Parkplätze für Apotheken zum benachbarten Krankenhaus reserviert sind. Solidarität wird durch Eigentumsdenken ersetzt.
Jesper Weber

Mittwoch, 2. November 2011

Traumberuf: Saftladen

Die vierjährige Rena besucht den Midori-Kindergarten in Otsuchi (Präfektur Iwate) an der japanischen Pazifikküste. Am 11. März wurde sie mit allen anderen noch nicht abgeholten Kindern nach dem Beben im Kindergartenbus auf die nächste Anhöhe gefahren und in das dortige Gymnasium gerettet.

Der Kindergarten wurde wenige Minuten später von einer über fünf Meter hohen Welle überspült und schwer beschädigt. Die Häuser in der Nachbarschaft sind nach der Explosion von Propangasflaschen abgebrannt, wovon der Kindergarten aber wie durch ein Wunder verschont blieb und nun alleine auf freier Fläche steht. Der Schutt ist seit Sommer weggeräumt, nur noch die Betonfundamente der Nachbarhäuser sind zu sehen.

Die Kinder werden seit April wieder in einem Ausweichquartier betreut, dem Gästehaus des Gymnasiums, das ihnen bis Ende des Jahres zur Verfügung steht. Dort wurde am letzten Oktoberwochenende die jährliche „Kunstausstellung” der Kindergartenkinder gezeigt. Jedes Kind hatte aus Knetmasse eine Puppe von sich selbst gebastelt und ein Blumenbild gemalt. In der Mitte des Raums steht ein „Wunschbaum“, an den Kinder und Eltern ihre Bitten heften konnten. Neben Durchhalteparolen vieler Eltern, Wünschen, nach Disneyland zu fahren oder Fußballprofi zu werden, hängt Renas Zettel: „Ich will einen Saftladen machen.“

Bis da ist es noch ein wenig hin. Erstmal muss der Kindergarten umziehen, aus dem jetzigen Provisorium in das nächste. Geplant ist, auf einem nahegelegenen Feld einen Fertigbau zu errichten. Der Landbesitzer hat schon zugestimmt, jetzt muss die Präfektur das Agrargrundstück als Gewerbegrundstück freigeben, damit die Stadt die Baugenehmigung erteilen kann.

Die Schulturnhalle war bis Ende August die Wohnung für Rena und ihre Eltern, dann konnten sie in ein Behelfshaus umziehen, standardisierte Wohncontainer mit ein bis drei Zimmern, Küche und Nasszelle.

Eikoh Sasaki leitet den Midori-Kindergarten und war bis August Renas Matratzennachbar in der Turnhalle, jetzt ist auch er in einem Behelfshaus untergebracht. „Am liebsten würde ich gleich wieder am alten Ort aufbauen, denn das Gebäude ist weniger stark strukturell beschädigt als ich befürchtet hatte. Die Wände sind futsch, aber die tragenden Pfeiler sind noch brauchbar. Aber die Stadt will sich erst Ende des Jahres zu einem Wiederbebauungsplan äußern, das kommt zu spät für uns.“ Ob das ein endgültiger Plan wird oder nur erste Richtlinien bekannt gemacht werden, darauf hat sich die Verwaltung auch Ende Oktober noch nicht festgelegt.

Die Gegend ist zudem noch nicht wieder gegen Flut und Tsunami abgesichert, die Dammanlagen konnten noch nicht repariert werden. Daher würden die Eltern keinesfalls zustimmen, ihre Kinder am alten Ort in Betreuung zu geben. Die Kinder selbst beginnen allerdings, ihr Trauma zu überwinden, sie klammern sich nicht mehr wie noch vor einigen Monaten bei jedem Erdstoß verängstigt an die Erzieher. Aber, so berichten Eikoh Sasaki und auch die Leiter des ebenfalls überfluteten Osanago-Kindergartens in Otsuchi und des Horts im benachbarten Kamaishi, sie hören auch bei schwachen Nachbeben sofort mit dem Spielen auf und schauen auf die Erwachsenen, ob sie aus dem Gebäude flüchten sollen.

Und auch falls die Stadt das Gebiet zur Wiederbebauung freigeben und den Schutzwall wieder errichten sollte, auf Eikoh Sasaki kommen enorme Belastungen zu: „Mit jedem Voranschlag steigen die Kosten. Zuerst sollte die Reparatur des Gebäudes 60 Millionen Yen (knapp 60.000 Euro) kosten, jetzt liegen wir bei 80 Millionen Yen. Ein Abriss und Neubau käme auf über 130 Millionen Yen. Die Hälfte von Renovierung oder Neubau würde vom Staat subventioniert, den Rest muss ich selbst zahlen, für die Innenausstattung gibt es überhaupt keine Zuschüsse.”

Das Gebäude ist zweigeschossig. Weil die Welle über fünf Meter hoch war, hat ein von der Präfektur bestellter Experte mittlerweile gefordert, in diesem Gebiet mindestens dreigeschossig zu bauen, damit man auch innerhalb des Gebäudes vor einem Tsunami flüchten kann. Das würde für den Midori-Kindergarten einen kompletten Neubau bedeuten. In Otsuchi wie in allen vom Tsunami verwüsteten Städten schnellen außerdem die Kosten für Materialien und die Löhne für Zimmermänner in die Höhe, weil die Nachfrage das Angebot übersteigt. Das wird sich noch verschärfen, wenn der Wiederaufbau in Gang kommt. Was weiterhin angesichts des Ausmaßes der Zerstörung eigentlich die Vorstellungskraft übersteigt.

Dabei gab es ähnlich hohe Tsunami und Verwüstung auch nach Beben in den Jahren 1896 und 1933, es wird also der dritte Wiederaufbau in 120 Jahren. Für die benachbarte Stadt Kamaishi sogar der vierte, 1945 war die Stadt durch alliierten Marinebeschuss, der auf die dortigen Stahlwerke zielte, komplett dem Erdboden gleichgemacht.

In Kamaishi hat die Verwaltung überlebt – in Otsuchi waren der Bürgermeister und sein Vize dem Tsunami zum Opfer gefallen – und ist daher ein Stück weiter in der Planung. Der Tsunami-Wall in der Hafenmündung, ehemals der weltweit größte, soll für 500 Millionen Euro wieder aufgebaut und von sechs auf acht Meter aufgestockt werden. In vielen Ortschaften wird kontrovers diskutiert, ob die Schutzwälle nicht eigentlich Schuld an vielen Todesfällen trügen, weil sie die Opfer in falscher Sicherheit gewogen hätten. Die Mehrheit vertritt die Ansicht, dass die Mauern zwar nicht gehalten haben, bei niedrigeren Tsunami aber jedenfalls effektiv seien und auch im März die Wassermassen einige wertvolle Minuten aufhalten konnten. Damit blieb mehr Zeit zur Flucht über oftmals weite Strecken von der Küste bis zum nächstgelegenen Hang, und viele Leben konnten gerettet werden.

In Kamaishi ist mittlerweile die Idee als unrealistisch verworfen worden, eine Bergkuppe zu schleifen und damit ebene Fläche neu zu schaffen. Also gibt es keine Alternative zur Wiederbesiedlung des Hafengebiets. Mittlerweile wird recht konkret darüber nachgedacht, Baugenehmigungen in Gebieten, die zwei Meter oder mehr unter Wasser standen, nur für Stahlbetonstrukturen zu erteilen, bei der zusätzlichen Auflage, im Erdgeschoss keine Wohnräume einzurichten.

Schnelle Entscheidungen und schnelle Umsetzung sind unverzichtbar. Kamaishi hatte vor dem Beben 40.000 Einwohner, von denen 1.000 umgekommen und weitere 1.000 abgewandert sind. Von den verbliebenen 38.000 leben 2.800, also über sieben Prozent, seit Mitte August in provisorischen Containerhäusern, die auf ebenen Flächen weitab von Infrastruktur wie Schulen, Supermärkten und Krankenhäusern aufgestellt wurden. Die Nutzung ist aus Fairnessgründen auf maximal zwei Jahre beschränkt, die gleiche Frist, für die Flüchtlingen in städtischen bzw. privaten Wohnungen die Miete erlassen bzw. erstattet wird. Und die Container sind schlecht isoliert, sie waren im Sommer zu heiß und werden im Winter zu kalt, darüber hinaus sind sie nicht mit Stauraum ausgestattet. Rena in Otsuchi hat ihre Spielsachen und Kleidung immer noch in Umzugskartons, weil es keine Regale gibt.

Ähnlich geht es Prof. Masayuki Yamazaki in Kamaishi, dem Flötenlehrer, der am 11. Dezember zum fünften Mal in Folge Beethovens Neunte dirigieren wird. Sein Haus und der nahegelegene Lederwarenladen seiner Frau, in dem das Ehepaar zum Zeitpunkt des Bebens war und sich erst nach wiederholten Zurufen ihres Sohns zur Flucht anstelle von Aufräumen entschloss, so dass sie nur zwei Minuten Vorsprung vor der Welle hatten, wurden zerstört. Sie sind auch jetzt noch auf Kleiderspenden angewiesen, und pendeln von ihrem Containerhaus an einem Ende der Stadt zu dem wiedereröffneten Laden in einem Containerdorf am anderen Ende. Mit einigen gespendeten Instrumenten gibt er wieder Unterricht und Konzerte. Sein Lieblingsinstrument hat er verloren: „Wir haben lange in den Trümmern gesucht und schließlich den Kasten gefunden. Der war verschlossen aber leer. Wahrscheinlich hat jemand meine Flöte geklaut, denn die war aus 40-karätigem Gold.”

Die Neunte wird wie jedes Jahr am zweiten Sonntag im Dezember aufgeführt, diesmal nicht in der überschwemmten Stadthalle, sondern in einer Turnhalle. Wie jedes Jahr wird ein 70-köpfiges Orchester aus Tokio eingeladen, aus Kamaishi kommt der Chor, 120 Erwachsene und 180 Mittelschüler, das 35. Jahr in Reihe. Es hatte viele Hilfsangebote aus Japan und aller Welt, auch aus Deutschland, gegeben. Beispielsweise hatte sich Yutaka Sado, der diesen Mai in der Berliner Philharmonie sein Dirigentendebut gab, angeboten, die Aufführung zu leiten. Alle Angebote wurden mit viel Dankbarkeit aufgenommen, aber schließlich sämtlich abgelehnt. Das Veranstaltungskommittee hat nach langem Nachdenken beschlossen, dass es wichtig für die Stadt sei, die Aufführung in eigener Regie zustande zu bringen, um keine Lücken in der Organisation zu reissen, die dann vielleicht in den kommenden Jahren nicht aus eigener Kraft gestopft werden können.

Bilder sind hier:
https://picasaweb.google.com/104350831750832252132/IwateOktober2011#


Jesper Weber

Dienstag, 25. Oktober 2011

Friede, Freude, Eierkuchen ...

Ich setzte mich heute, sieben Monate und vierzehn Tage seit dem Erdbeben, nach dem Frühstück in Morgenrock und Filzpantoffeln auf meine Chaiselongue, eine Tasse Kaffee auf dem Beistelltisch, hätte mir gerne die Meerschaumpfeife angesteckt, aber ich besitze keine. Also entschied ich, mich statt Tobak mit der Tageszeitung zu entspannen.

Der Frieden währte bis Seite Drei, da berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo: “Erhöhter Damm verhinderte Katastrophe in Ibaraki Atomkraftwerk”.

Ibaraki ist die Präfektur an der Pazifikküste südlich von Fukushima, in anderen Worten: eins näher dran an Tokio. Von meiner Haustür ist es 130 Kilometer entfernt, bis zum havarierten AKW in Fukushima sind es 255 Kilometer. Der Artikel interessierte mich also.

Kurz zusammengefasst, ganz genau wie in Fukushima waren die Annahmen zur maximalen Höhe eines Tsunami für das AKW in Ibaraki blauäugig niedrig. Man ging von nicht mehr als 4,86 Metern aus und hatte dafür einen Damm von 4,90 Metern Höhe errichtet. Wohl gemerkt, ganze vier Zentimeter! Die Regierung in der Präfektur hatte nochmal nachgerechnet und im Oktober 2007 herausgefunden, dass Tsunami in der näheren Umgebung des AKW durchaus sechs bis sieben Meter hoch werden könnten. Der Betreiber, Japan Atomic Power (nicht TEPCO), begann daher freiwillig, den Damm auf 6,1 Meter aufzustocken, um die Diesel-Notstromaggregate für die Seewasserkühlpumpen zu schützen.

Der Tsunami am 11. März erreichte 5,3 bis 5,4 Meter, war also tatsächlich höher als der ursprüngliche Damm. Wie in Fukushima Eins wurde die externe Stromversorgung für das AKW unterbrochen, zwei der drei Pumpen konnten aber durch Generatoren weiter betrieben werden, so dass der Reaktor kontrolliert heruntergefahren werden konnte. Sonst hätte es hier durchaus zwei Atomkatastrophen geben können. Ich habe starke Zweifel, dass sich das hätte unter Kontrolle bringen lassen. Schon Fukushima hat die Selbstverteidigungsstreitkräfte und die Feuerwehren, ganz zu schweigen von der Politik, enorm überstrapaziert.

TEPCO hatte übrigens 2006 selbst herausgefunden, dass die interne Einschätzung von 2002, ein 5,7 Meter hoher Tsunami sei zu befürchten, zu optimistisch waren. 2008 kamen sie dann zu dem Ergebnis, dass die Welle über zehn Meter hoch werden könnte (es wurden über 15). Kurz vor dem Beben, am 7. März 2011, berichteten sie darüber an die “National Industrial Safety Agency”. Schritt für Schritt brauchten sie also zwei oder drei Jahre, konkrete Maßnahmen wurden allerdings keine getroffen. Der Rest ist bekannt. Und dabei war eigentlich seit Generationen bekannt, dass die Erdbeben 1896 und 1933 an der Pazifikküste zu über zehn Meter hohen Tsunami geführt hatten, mir ist völlig schleierhaft, worauf TEPCO’s ursprüngliche Berechnungen beruhten (eigentlich ist es mir total klar: auf Profitgier).

Zur Strahlenproblematik hat sich eine mir völlig unverständliche Nonchalance eingeschlichen. Anfang des Monats wurden in Tokio und Umgebung an einigen isolierten Stellen stark erhöhte Strahlenwerte gemessen. Zuerst war das Anlass zu geringfügiger Panik in den Nachrichten, aber schon nach einem Tag wurde Entwarnung gegeben, die Strahlung sei durch Radium verursacht, aus dem AKW in Fukushima war aber nur Jod und Caesium ausgetreten, von dort könne es also nicht sein. Einen weiteren Tag später folgte die Erklärung, es seien lippenstift-große Flakons unter einem Haus an der Stelle in Tokio gefunden worden (ältere Holzhäuser stehen hier oft auf Stelzen), die Flüssigkeit darin würde untersucht, sei aber eindeutig Ursache der erhöhten Werte.

Na dann. Friede, Freude, Eierkuchen.

Bin ich der Einzige hier, der sich noch fragt, weshalb radioaktive Substanzen unter einem Einfamilienhaus aufgefunden werden? Ist das nur für mich noch Anlass zu Sorge anstatt der sich allgemein breitmachenden Erleichterung? Und war der Fund der Flakons in Tokio eine ausreichende Erklärung für die zuvor in Yokohama und später in Chiba gemessenen stark erhöhten Werte, über die in den Nachrichten dann nicht mehr aufgeklärt wurde?

Die Arbeiten in Fukushima gehen zwar bisher schneller als zugesagt voran, aber auch das ist vielleicht mehr Glück und Zufall zuzuschreiben. Ich drücke die Daumen.

Jesper Weber

Dienstag, 11. Oktober 2011

Polinahe in Kamaishi

Unsere Hawaiiband heißt POLINAHE - das bedeutet: "sweet and mellow music" - und besteht aus Jimmy Miranda mit der Ukulele, John Torio am Bass und Olaf Eckhoff mit der Gitarre. Jimmy kommt aus Big Island, Hawaii, lebt in Osaka und ist Lehrer an einer Oberschule. John ist Japaner, Manager, hat lange in Hawaii gelebt. Seine Frau Miwako ist Hulalehrerin. Miwako, John und ich fuhren am Samstag nach Kamaishi, Jimmy ist direkt von Osaka nach Hanamaki geflogen. Am Samstag haben wir in Kamaishi im Kamaishi Hoikuen gespielt und Miwako hat dazu Hula getanzt. Dem Publikum, darunter auch der Lokalpolitiker Herr Goda, hat unsere Musik und der Hulatanz von Miwako sichtlich Spass gemacht, und viele der Zuhörer haben sich nach dem Konzert bei uns herzlich bedankt; man konnte wirklich spüren, dass die Abwechslung gut getan hat.


In Kamaishi waren wir bei Frau Inoue zu Gast, und wir haben einen sehr netten Abend mit dem Ehepaar Goda bei von Frau Inoue zubereiteten japanischen Speisen verbracht. Am nächsten Morgen auf der Fahrt nach Miyako konnten sich Jimmy, John und Miwako ein eigenes Bild von der Verwüstung durch den Tsunami machen. Wir haben einen kurzen Stopp bei der ASIA SYMPHONY gemacht, dem 6000-Tonnen-Frachter, der immer noch auf dem Kai auf dem Trockenen lag. Die Bilder von diesem Frachter, der sich mit der Nase durch die Kaimauer gebohrt hat und kurz vor einem Haus stehen geblieben ist, gingen ja um die Welt. Gerade letzte Woche las ich in der Japan Times (Foto: JT online), dass sie das Schiff nun endlich wieder ins Meer gehoben haben.


Obwohl im Vergleich zu meiner Reise Anfang Mai die Aufräumarbeiten des "Gareki" sehr weit vorangeschritten sind (es stinkt auch nicht mehr!), ist es traurig zu sehen, dass dort, wo früher Menschen wohnten jetzt nur freie unbewohnte Fläche ist - eine Wüstenlandschaft der ganz anderen Art.
In der Miyako-Kirche, in der alle Sitzplätze besetzt waren, gaben wir unser zweites Konzert. Wieder waren die Zuhörer/-schauer sichtlich gerührt und begeistert von unserer Musik. Das steht auch im Bericht der Lokalzeitung, der von unserer Veranstaltung berichtet.



Nach dem Konzert ging es mit dem Mietwagen voll Gepäck und Instrumenten nach Morioka, und von dort mit dem Shinkansen nach Tokyo zurück. Es war eine anstrengende, aber durchaus lohnende Reise. Wir wollten mit unserer Musik ein wenig hawaiianischen Sonnenschein und Unbekümmertheit in den Alltag der Bewohner dort bringen.
In Miyako, vor der Miyako-Kirche, entstand auch das Foto von dem neuen Kindergartenbus für den Hikari Yochien mit Pfarrer Moriwake. Der Kindergartenbus wurde von den Spendengeldern aus Bremen finanziert, um den alten Kindergartenbus, der beim Tsunami auf dem Gelände der Kirche stand und völlig überflutet und unbrauchbar war, zu ersetzen.
Aloha,
Olaf

Dienstag, 20. September 2011

Phönix in der Asche

Die Pazifikküste führt von Tokio Richtung Nordosten durch die Präfekturen Chiba und Iwate nach Fukushima.

Ein halbes Jahr nach dem 11. März endet hier für die Mehrheit der Japaner die Katastrophe. Der Mehrfach-GAU im Atomkraftwerk Fukushima Eins ist allen täglich präsent und beeinflusst zum Beispiel unsere Kaufentscheidungen im Supermarkt. Wo wurde der Reis angebaut? Noch letztes Jahr oder schon dieses geerntet? Wo wurden die Rinder gezüchtet? Wo wurde das Obst geerntet und wo die Fische gefangen?

Nördlich von Fukushima ist die Präfektur Miyagi, vor welcher das Epizentrum des Bebens lag, dann kommt Iwate. Beide sind aufgrund der fjordähnlichen Küstenlinien besonders stark vom Tsunami geschädigt worden. Das ist zwar keinesfalls ins Vergessen geraten, rückt aber zunehmend in den Hinterkopf und wird immer später in den Nachrichten erwähnt, aktuell verdrängt von einer neuen Katastrophe, zwei Taifunen, die im September über 100 Todesopfer und Vermisste gefordert und starke Zerstörungen angerichtet haben.

Dabei hat neben Beben und Tsunami auch die Krise im Atomkraftwerk greifbare Auswirkungen auf die beschädigten Städte nördlich von Fukushima. Die beiden industriellen Standbeine bisher waren Tourismus und Fischerei. Beide sind in die Knie gegangen. Die jeweiligen Infrastrukturen wurden weggespült, Hotels, Bahnlinien und Fähren existieren nicht mehr, die zuvor wunderschönen Küstenstreifen sind abgesunken oder vom Wasser weggerissen, die Städte oft bis auf die Fundamente abgeschliffen worden. Fischereihäfen und Boote wurden ebenfalls zerstört. In einem kleinen Hafen in einer Bucht neben der Stadt Kamaishi in Iwate gibt es jetzt wieder sieben Boote. Vor der Welle landeten dort über 300 an. Der Hafen eine Bucht weiter hat immer noch kein einziges Boot, alle wurden weggeschwemmt und keines wurde bisher ersetzt. Aber auch wenn die Fischer herausführen, könnten sie weiterhin nichts anlanden, weil die Hafenanlagen zerstört sind. Bisher stiegen sie vom Kai herab in ihre Boote, jetzt müssten sie vom Kai in die Boote hochklettern. Der Grund ist bis zu einem Meter im Beben abgesunken und wird regelmäßig bei Flut überschwemmt. Und auch wenn sie einen Fang anlanden könnten, wäre dieser im Supermarkt so gut wie unverkäuflich, weil Verbraucher sämtliche Lebensmittel aus den nordöstlichen Präfekturen aus Angst vor Strahlenbelastung konsequent vermeiden. Dafür können die Fischer nun zum ersten Mal in ihrem Leben das Meer von ihren Häusern sehen. Der Zypressen- und Zedernwald, der zwischen Dorf und Küste mit 25 Metern Höhe die Sicht versperrte, ist bis auf eine einzelne Zypresse kurz über den Wurzeln abgeknickt und weggespült worden. Der verbleibende Baum hat bis auf 18 Meter keine Äste mehr, so hoch kam das Wasser.

Die gleichen Ängste halten Touristen aus Japan und dem Ausland auch davon ab, Urlaub im Nordosten zu machen. Nur die Herbergen gleich landeinwärts sind ausgebucht mit Freiwilligen, die für einige Tage zum Helfen anreisen. Auch das sind aber spürbar weniger als in den Monaten gleich nach dem Beben.

Am 30. August wurde die letzte Notunterkunft in Iwate geräumt, eine Turnhalle in Yamadamachi, etwas nördlich von Kamaishi. Die über 50.000 Obdachlosen in der Präfektur, die zeitweise in den beinahe 300 Notunterkünften gewohnt hatten, sind kurz vor dem Halbjahrestag entweder in Häuserprovisorien mit dem Charme eines Frachtcontainers oder bei Verwandten untergekommen. Die Selbstverteidigungskräfte wurden mittlerweile aus allen Präfekturen bis auf Fukushima abgezogen. Weitere Räumarbeiten müssen die Verwaltungen vor Ort nun mit privaten Firmen arrangieren. Auch die zur Hilfe gerufenen Polizeikontingente aus ganz Japan sind zum Großteil abgerückt, in Iwate haben über die Hälfte der Einsatzfahrzeuge wieder ein lokales Kennzeichen.

In Städten wie Kamaishi sind das Sperrholz und die meisten Autowracks weggeschafft worden. Im überschwemmten Hafengebiet stehen noch die Rahmen von Betonbauten, ihre Fenster und Türen sind eingedrückt worden und klaffen wie Zahnlücken. Wo Holzhäuser standen, gibt es jetzt reichlich Parkplätze. Erst die Hälfte der Ampelanlagen funktioniert wieder. Bis auf vereinzelte Reparaturen an Straßen, Wasser-, Strom- und Gasleitungen, und wichtigen Gebäuden wie Krankenhäusern ist von Bauarbeiten im alten Stadtzentrum noch nichts zu sehen.

Noch haben die Verwaltungen keine Planung für den Wiederaufbau vorgelegt. In Kamaishi soll das bis Ende September geschehen. Diskutiert werden unter anderem ein neuer Damm von Wellenbrechern am Eingang der Bucht, die Verlagerung wichtiger Funktionen auf höheres Land und Landgewinnung hoch über dem Meeresspiegel durch Abtragung eines Berges bei gleichzeitiger Nutzung der Erdmassen, um das Plateau zu vergrößern. Im benachbarten Otsuchi, das großflächig überspült wurde und dann durch explodierende Propangasflaschen abgebrannt ist, konnte die Stadtverwaltung erst im August wieder neu gebildet werden. Ein Wiederaufbauplan ist noch nicht abzusehen.

Die Hauseigentümer stehen vor einem Dilemma. Beschädigte Häuser dürfen in eigener Regie repariert werden, aber für den Wiederaufbau zerstörter Häuser wird eine Baugenehmigung benötigt. Die kann nur erteilt werden, wenn das Gebiet für wiederbebaubar erklärt wurde, was bei den überfluteten Gegenden noch in Frage steht. Und solange das Gebiet nicht für bebaubar erklärt wird, ist der Grundstückswert gleich Null, so dass auch ein Abriss der noch stehenden Strukturen wirtschaftlich nicht sinnvoll wäre. Also passiert bis auf Aufräumarbeiten erstmal garnichts. Phönix steckt in der Asche fest.

Und dennoch geht das Leben weiter und neue Zentren entstehen. So werden zum Beispiel neben den einstöckigen Provisoriumssiedlungen zweistöckige provisorische Einkaufstraßen errichtet. In einer von diesen hat das Ehepaar Yamazaki am 13. September einen Lederwarenladen eröffnet. Es gibt Restaurants und Cafes, zwei Frisöre und einige Lebensmittelläden.

Der Ehemann Professor Yamazaki ist eigentlich Flötenlehrer und dirigiert seit vielen Jahren Beethovens Neunte Symphonie in Kamaishi und wird auch dieses Jahr bei der 34. Aufführung wieder am Pult stehen. Im Lederwarenladen steht ein Klavier, er möchte hier einen Salon einrichten, in dem Konzerte und Kultur angeboten werden. Flötenunterricht hält er momentan im Haus einer Bekannten, in dem auch ein von der Gei-Dai Kunsthochschule Tokio gespendeter Flügel steht. Hier finden regelmäßig Hauskonzerte statt, um in verschiedene Provisoriumssiedlungen verstreute Freunde zusammenzubringen und das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft zu verhindern.

In Otsuchi liegt der Midori-Kindergarten. Dort ist die Situation noch ernster, die Stadtverwaltung fiel dem Tsunami zum Opfer. Bürgermeister und Vizebürgermeister fanden den Tod, ein neuer Bürgermeister wurde erst im August gewählt. Die Ämter rappeln sich nun langsam aus ihrer Lähmung auf. Der Kindergarten wurde, kurz nachdem alle Kinder und Angestellten sich in ein Gymnasium auf einer Anhöhe retten konnten, vier Meter hoch bis zum ersten Obergeschoss überspült. Alle Häuser in der Nachbarschaft sind komplett zerstört worden. Weil der Kindergarten erst vor fünf Jahren erbaut wurde, sind über 80 Prozent des Kredits noch nicht abbezahlt. Seit April nimmt er Ausweichquartier im Gästehaus des Gymnasiums, wo auf engstem Raum 50 Kinder betreut werden. Bis zum Ende des Jahres müssen sie dort ausziehen.

Um zusätzliche Kreditbelastung zu vermeiden, würden sie bevorzugt am alten Ort wieder aufbauen, trotz der Angst vor neuen Tsunami und den psychologischen Schwierigkeiten, die die Gegend mit sich bringt. Eine Freigabe oder sogar Baugenehmigung sind aber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Also sucht Eikoh Sasaki, der Leiter des Kindergartens, nach Alternativen. Von einem Bauern wurde ihm ein Reisfeld als Grundstück angeboten, dass nur seicht überflutet wurde. Dort könnte er als Fertighaus recht schnell einen neuen Kindergarten aufbauen. Aber es gibt massive Hindernisse. Die Stadtverwaltung ist gegen die Umwandlung von landwirtschaftlichen Flächen in Gewerbegebiet, hat da aber nicht das Sagen, denn die Entscheidung liegt bei der Präfektur, die wohl einlenken wird. Danach muss die Baugenehmigung beantragt werden. Auflagen dafür werden ein festes Fundament und eine Entwässerungspumpe sein, weil das Grundstück unter Meeresspiegel liegt. Voraussetzung ist, dass in einem überfluteten Gebiet überhaupt eine Baugenehmigung erteilt wird, denn das schafft einen Präzedenzfall.

Wenn ein Neustart möglich wird, werden bis zur Hälfte der Kosten durch Subventionen gedeckt, die Obergrenze liegt bei dem Wert des zerstörten Eigentums. Andersherum heißt das, dass der Kindergarten eine Belastung von 150 Prozent hat: 100 Prozent des ursprünglichen Darlehens und 50 Prozent der Wiederaufbaukosten. Wobei nur Baukosten subventioniert werden, die Ausstattung ist nicht gedeckt. Herr Sasaki schätzt die auf ihn zukommenden Kosten auf ungefähr 35 Millionen Yen zusätzlich zur bestehenden Kredittilgung. Das sind knapp 350.000 Euro, die er ohne eigenes Zutun in der Kreide stehen wird. Gleichzeitig sind seine Einnahmen deutlich reduziert. Statt der 80 Kinder, die vor dem Beben betreut wurden, kommen nur noch 50. Kindergartengebühren kann er mittlerweile nehmen. Eltern, die nicht vom Beben betroffen waren, zahlen selbst, für betroffene Eltern springt die Stadt ein. Aber die Kosten für den Kindergartenbus, der die Kinder in fünf Touren täglich fast 200 Kilometer aus den nunmehr oftmals weit entfernten Wohnungen abholt und sie auch wieder zurück bringt, würden nicht von der Stadt erstattet, so dass sie aus Gründen der Fairness auch nicht eingefordert werden können. Betroffene Eltern könnten nicht zahlen, und die nicht betroffenen Eltern müssten aus Kostengründen zu näher gelegenen Einrichtungen abwandern. Also fehlen monatlich über 400.000 Yen in der Kasse für Benzin- und Unterhaltskosten, ungefähr 4.000 Euro.

Er sucht nach Spendern, denn wenn der Kindergarten Pleite geht, stehen nicht nur er, sondern auch viele Kinder auf der Straße. Einer Straße, an der keine Häuser mehr stehen.

Jesper Weber
Fotos finden Sie hier...

Donnerstag, 14. Juli 2011

Tohoku im Juli

Fliegen, Fliegen, Fliegen, überall Fliegen. Nach Ende der Regenzeit und mit Beginn des Hochsommers mit Temparaturen über 30 Grad wimmelt es von unzähligen Fruchtfliegen, fetten Brummern von über einem Zentimeter Länge, und allem dazwischen, weitaus mehr als je zuvor beobachtet. Dabei riecht es gar nicht nach dem, was Fliegen bekanntlich so anziehend finden.

Die Hilfsgüterlieferungen sind verteilt und der tägliche Bedarf ist weitgehend gedeckt, woran es jetzt fehlt, sind ausreichend Fliegenfänger und -klatschen.

Am 11. Juli läuten die Sirenen keine Schweigeminute ein, um vier Monate nach dem Beben und Tsunami zu markieren. Stattdessen gibt es zur Mittagszeit ein kräftiges Nachbeben mit Intensität 4 auf der bis 7 reichenden japanischen Skala. Wie auch schon am Morgen vom 10. Juli. Und dann wieder am frühen Abend vom 12. Juli. Und vor Tagesanbruch am 13. Juli.

Von Normalität kann also noch keinesfalls die Rede sein, aber vieles ist geschafft worden.
Viele provisorische Häuser sind aufgebaut und werden nun bezogen, die Turnhallen leeren sich langsam. Ein Notlager in Otsuchi, in dem über 300 Menschen Unterkunft gefunden hatten, hält nur noch 60, andere sind bereits aufgelöst. Die Qualität der Wohneinheiten schwankt allerdings beträchtlich. Einige wenige wurden von Zimmermännern errichtet, wirken solide und sind fugendicht. Ein Großteil aber sieht aus wie umfunktionierte Frachtcontainer, in die Fenster gebrochen wurden. Die Bewohner solcher Einheiten beklagen, dass trotz der standardgemäß eingebauten Klimaanlagen die dünnen Metallwände die Hitze von außen so stark nach innen leiten, dass man sich nur in der exakten Mitte des Raums aufhalten könne. Schlafen ist nur für wenige Stunden möglich, wenn es sich nachts abgekühlt hat, und bevor die Sonne wieder aufgeht.

In den Notlagern wurden durch die Selbstverteidigungskräfte und Freiwillige täglich drei Mahlzeiten kostenlos verteilt. In den Containerstädten müssen die Menschen sich selbst verpflegen, und auch wieder für Strom, Wasser und Gas bezahlen. Viele dieser Städte wurden weit ab vom Schuss errichtet, weil zentral nicht genug bebaubare Fläche zur Verfügung stand. Das führt zu langen Wegen zum Einkaufen, zu den Ämtern, zur Schule und zum Arbeitsplatz für die, die Beschäftigung finden konnten. Viele stehen weiterhin ohne regelmäßiges Einkommen da. Die Zahlungen von Hilfsgeldern erfolgt stockend, weil die Verwaltungen noch nicht normal funktionieren – in Städten wie Otsuchi wurde das Rathaus weggespült, die Leiche des Bürgermeisters ist erst vor einer Woche in einem Haufen von Fischmüll aufgefunden worden, so dass die Einwohner dort für sämtliche Behördengänge über zehn Kilometer ins benachbarte Kamaishi fahren müssen – und mit den Aufgaben weiterhin überlastet sind.

Die Wohneinheiten werden generell auf zwei Jahre befristet zur Verfügung gestellt und dann wieder abgebaut. Wo, wann und wie die zerstörten Ortschaften endgültig wieder aufgebaut werden, ist noch überhaupt nicht geklärt. Viele Kommunen kämpfen nicht nur mit der Zerstörung von Häusern und Infrastruktur, sondern sind auch in der Einwohnerzahl durch Todesfälle und Abwanderung dezimiert worden.

Die Entscheidungsgewalt beim Festlegen von Bebauungszonen liegt bei der nationalen Regierung. Viele der überschwemmten Gebiete werden als zu gefährlich eingestuft und nicht mehr besiedelt werden dürfen. Ausweichflächen in Küstennähe sind jedoch spärlich. Für den Neubau eines zerstörten Hauses wird die benötigte Baugenehmigung also nicht erteilt. Nur teilweise beschädigte Häuser dürfen aber repariert werden, stehen dann allerdings in einer Wüstenei ohne ausreichende Verkehrsanbindung.


Im Bahnhof von Tohno, der Kreisstadt 50 Kilometer im Landesinneren der Präfektur Iwate, hängt eine Tafel mit dem lokalen Liniennetz und den Fahrpreisen. Sie reicht bis zur Hafenstadt Kamaishi. Die folgenden Stationen nach Norden entlang der Küste bis Miyako sind mit weißem Papier überklebt.

Das ist eine bedrückend realistische Wiedergabe der Situation vor Ort, wo viele Bahnhöfe und über Kilometer die Gleise einfach weggespült wurden und nun ein weißer Fleck auf der Landkarte sind. Der Wiederaufbau ist aus Kosten- und Sicherheitsgründen schwer vorstellbar, und ohne ein funktionierendes Verkehrsnetz steht auch die Wiederbesiedelung in Frage.

Dennoch wird nach Kräften geräumt, deutlich weniger Schutt und Autowracks als noch vor zwei Monaten sind zu sehen. Je nach Wucht des Tsunami an den einzelnen Orten enstehen so entweder Geisterstädte mit Hausruinen on Wänden oder weite Flächen, auf denen nur noch Betonfundament und Grundriss der zerstörten Gebäude erkennbar sind. Um den Hort Kamaishi herum sind die Straßen wieder frei, der Schutt im Garten wurde beseitigt. Aber in den Räumen steht der Schlamm seit März und ein umgekipptes Gitterbett ist immer noch da, wo das Wasser es vor vier Monaten abgestellt hatte.

Und dann gibt es immer wieder Stellen, die aussehen, als hätte der Tsunami erst gestern zugeschlagen. Der 20.000 BRT Frachter „Asia Symphony“, der in Kamaishi vom Tsunami auf den Pier gespült und damit oft benutztes Motiv in der Weltpresse wurde, thront weiterhin unbewegt an seinem Platz, die Nase vom Kiel hat die Hafenmauer durchbrochen und verengt die Straße auf eine Spur. Von der Regierung war zwar Weisung ergangen, das Schiff bis Ende Juni zu beseitigen, aber weder die Reederei in Panama noch andere Stellen haben reagiert.

Sämtliche Fischereihäfen in der Präfektur sind zerstört, so dass nichts angelandet werden kann. Es kann aber auch nichts gefangen werden, weil die Boote verloren, die Netze weggespült, die Flöße zur Muschelzucht nicht mehr brauchbar sind.

Beim Anbau von Wakame-Seetang werden mindestens zwei Jahre benötigt, bis geerntet werden kann. Der Tsunami im März schlug kurz vor der Erntezeit zu. Ebenso lange braucht die Zucht von Austern und Hotate-Muscheln. Die Saat kann nur zu einer bestimmten Jahreszeit erfolgen, wenn bis dahin keine Boote, Gerätschaften und Hafenanlagen da sind, ist ein Jahr verloren. Weil spezielle Boote benötigt werden, für die es keinen Gebrauchtmarkt gibt und die beim Neukauf langfristig vorbestellt werden müssen, richten die Fischer in Kamaishi sich auf eine Durststrecke von mindestens vier Jahren ein. Neue Boote werden vorerst für die Genossenschaft gekauft und für die nächsten fünf Jahre in Rotation einzelnen oder Gruppen von Fischern zur Verfügung gestellt. Schon jetzt zeichnen sich Konflikte innerhalb der Genossenschaften zur gerechten Zuteilung ab.

Die Sorge um die Entwicklung der nächsten Jahre dominiert auch das Gespräch in Hort und Kindergärten. Die Grundversorgung funktioniert, was gerade akut fehlt, wird bescheiden als eine Unbequemlichkeit dargestellt, beispielsweise das betagte Ersatzfahrzeug vom kirchlichen Hikaru-Kindergarten in Miyako bis der durch Wasser einen Totalschaden erlittene Bus ersetzt werden kann. Der Ersatzbus ist ein Uraltgefährt mit Plastiksitzen und ohne Kühlung für den Passagierraum, der jederzeit den Geist aufgeben kann und bei der Hochsommerhitze nicht kindertauglich ist. In Tokio wäre das unvorstellbar, in Miyako geduldet man sich.

Unter der Oberfläche sind die Wunden jedoch noch lange nicht verheilt. Die Kinder spielen immer noch "Wer-hat-Angst-vorm-Tsunami" und sind durch die starken Beben der letzten Tage sichtbar verängstigt. Eine Erzieherin im Osanago-Kindergarten in Otsuchi erzählt spontan noch einmal, wie sie mit den noch anwesenden 17 Kindern, die beim Beben gerade auf den Bus warteten, auf den Berg flüchteten und von dort zusahen, wie das Wasser Autos und Häuser verschluckte. Wie sie frierend dem Schneefall trotzten und schließlich von Nachbarn ins Haus gebeten wurden, wo nur noch Platz zum Stehen war. Wie sie nachts um 23.30 Uhr, nachdem die Flut sich zurückgezogen hatte, vom Berg steigen mussten, weil das Feuer sich den Hang entlang auf sie zu fraß. Wie sie die Kinder über Schutt und Schlamm ins Notaufnahmelager brachten und dort drei Tage betreute. Wie sie bei den Aufräumarbeiten im Garten vier Leichen und im Schlamm viele abgerissene Körperteile fanden. Wie man auch jetzt noch durch die abgebrannten Bäume auf dem Berg 50 Meter vorm Tor täglich an das Feuer erinnert würde.

Alles Schlimme der Katastrophe und ihrer Folgen kumuliert im Schicksal des Midori-Kindergartens in Otsuchi, nahe an der Küste auf Meeresspiegelhöhe gelegen.
Der Leiter Eikoh Sasaki erklärt, dass in der Evakuierungsanleitung festgelegt war, dass die Kindergartenbusse bei Tsunamiwarnung auf eine Anhöhe fliehen sollten, falls gerade Kinder transportiert wurden, andererseits aber sofort zum Kindergarten zurückkommen und bei der Evakuierung dort helfen sollten. Designierter Fluchtpunkt war ein 200 Meter entfernt auf einer Anhöhe gelegenes Gymnasium. Da beide Busse gerade auf Leerfahrt waren, kamen sie zurück und konnten alle Kinder rechtzeitig in Sicherheit bringen. Das Wasser stieg vier Meter hoch bis zur Hälfte des ersten Obergeschosses, aber das Gebäude ist stehen geblieben, strukturell jedoch nicht mehr benutzbar. Explodierende Propangasflaschen haben weitflächige Brände entfacht, die Namenstafel am Außentor ist verkohlt.

Mit den Kindergartenkindern wurden sie in der Turnhalle aufgenommen, die auch Unterkunft für die Schüler und viele Bürger der Stadt waren. Die Temperaturen fielen unter den Gefrierpunkt, es gab nur drei kleine Kerosinöfen zum Heizen. Also wurden die Kleinkinder zu zweit oder zu dritt in Wolldecken gewickelt, um sich gegenseitig zu wärmen. Für Grundschüler und ältere reichten die Decken nicht, so dass sie sich mit Zeitungspapier und Vorhängen behelfen mussten. Die Schule war tagelang von der Außenwelt abgeschlossen, einige Eltern schafften es aber, sie zu Fuss über die Berge zu erreichen, weil sie wussten, dass ihre Kinder dorthin geflüchtet sein müssen. Die Straße in den Ort war nicht begehbar, schließlich fuhren sie einen Kindergartenbus über Felder und Berge ins Landesinnere und stellten eine Funkverbindung zu dem verbliebenen Bus her, um so Details ihrer Notlage an die Helfer zu übermitteln.

All das kann er nur unter Tränen berichten. Was er mit keinem Wort erwähnt, ist die Tatsache, dass seine Eltern weiterhin vermisst werden. Er ist mit 45 Jahren unverheiratet und muss den Wiederaufbau und die Trauerarbeit alleine stemmen.

Herr Sasaki lebt weiterhin in der Turnhalle des Gymnasiums, hat aber einen Hauscontainer in Aussicht. Der Kindergarten hat am 17. April als Ausweichquartier ein Nebengebäude der Schule bezogen. Von vorher über 70 Kindern kommen jetzt 48. Mit vier Erzieherinnen spielen und schlafen sie in einem Raum von circa 40 Quadratmetern, der von einem Ventilator gekühlt wird.

Das Grundstück des Kinderladens ist wertlos geworden. Das Gebäude war erst fünf Jahre alt und ist noch mit einem Darlehen belastet. Beim Wiederaufbau wird der Staat 50 Prozent subventionieren, die restlichen 50 Prozent sind Eigenleistung. So ergibt sich eine 1,5-fache Belastung für Gebäudekosten bei stark reduzierten Einnahmen. Denn von den Eltern der 48 Kinder kann er keine Gebühren fordern. Moralisch schafft er das nicht, weil er weiß, dass sie zum Großteil in der gleichen Turnhalle schlafen wie er und alles verloren haben. Praktisch geht es nicht, weil die Eltern nicht zahlungskräftig sind. Ihre Kinder müssen sie aber über Tag abgeben, um auf Arbeitssuche zu gehen und Amtsgänge machen zu können. Deshalb wird der Kindergarten dieses Jahr ohne Sommerpause offen bleiben.

Die Erzieherinnen bezahlt er weiter, rückwirkend ab Juni will er versuchen, von einem Teil der Eltern Gebühren zu erbitten. Der Monatssatz beläuft sich auf 12.000 Yen pro Kind plus Gebühren für den Bus, also mindestens 100 Euro pro Monat.

Im benachbarten Kamaishi werden die Gebühren für Hort und Kindergarten für ein Jahr von der Stadt übernommen. In Otsuchi funktioniert die Verwaltung nicht, so dass die Gebührenübernahme nur für öffentliche Tagesstätten angeboten wurde. Der Midori-Kindergarten ist privat geleitet.

Im Oktober werden normalerweise Neuzugänge geworben. Herr Sasaki sieht einen klaren Wettbewerbsnachteil gegenüber öffentlichen Einrichtungen und den Tagesstätten in Kamaishi. Dass zumindest auch die öffentlichen Kindergärten in Otsuchi noch keinen einzigen Yen von der Verwaltung ausbezahlt bekommen haben, ist für ihn kein Trost.

Bericht: Jesper Weber
Bilder finden Sie hier in der Galerie.

Bitte besuchen Sie auch die Seite des Carsharing-Projekts DoCoDeMo Eco Car - mit Video auf YouTube. Dieses Projekt bittet um Unterstützung in der Absicht, den Katastrophenopfern wieder zu Mobilität zu verhelfen.

Sonntag, 22. Mai 2011

Kamaishi, 14.-16. Mai

Vom 14. bis 16. Mai waren Herr Pfarrer Ota und Herr Eckhoff vom Gemeindekirchenrat in Kamaishi und Otsuchi, um die aus Bremen gespendeten Kleinwagen im Kamaishi Hoikuen zu überbringen.

Bericht aus Kamaishi


Die Freude über den Empfang der beiden Autos war riesengroß. Tiefe Dankbarkeit wurde uns entgegengebracht, weil diese beiden Wagen einen entscheidenden Schritt in die Normalität bedeuten. Stolz sind die Mitarbeitenden auch, dass an den Seitentüren die Aufschrift angebracht ist: „Ein Geschenk der Bremer Bürger an den Kamaishi Hoikuen“.
In Japan kennt jedes Kind den Namen der Stadt Bremen von Grimms Märchen „Die Bremer Stadtmusikanten“.
Es wurde mit Freude bemerkt, dass die beiden Autos, eines rot, eines weiß, die japanischen Nationalfarben wiedergeben.

Was mich tief beeindruckt hat, war die freundliche Wärme der Menschen, mit der sie uns begegneten. Wie sie ihr Schicksal mit großer Gefasstheit tragen, zumindest nach außen. Wie geordnet in all dem Durcheinander sie ihrer Arbeit nachgehen, und aufbauen, so gut sie können. Viele Geschichten haben wir gehört, und ich konnte spüren, wie gut es tut, sein Schicksal erzählen zu dürfen, sich mitteilen zu dürfen und jemanden zu haben, der Anteil nehmend zuhört. Ein kleines Stück Hilfe einfach von Mensch zu Mensch.

In Otsuchi besuchten wir den Osanago Yochien und vereinbarten, dass wir aus den Bremer Spenden die Fußbodenheizungsanlage erneuern lassen werden. Das bedeutet, dass bis zum kommenden Herbst eine Gas-Wärmetauschanlage und evtl. notwendige Reparaturen der Leitungen fertig sein sollen.
Ich war sehr überrascht, mit wie viel Kraft und Enthusiasmus die Mitarbeitenden hier aufgeräumt und alles gesäubert haben. Die Spuren des Tsunamiwasserstands waren zwar noch zu sehen, aber sonst war alles schon wieder sehr sauber und in Ordnung gebracht.
Zu Weihnachten wird dieser Kindergarten ein Singspiel aufführen, und wir werden aus den Bremer Geldern die Noten ersetzen.

Beim Midori Yochien in Otsuchi trafen wir leider niemanden an. Die Anlage erschien uns unbenutzbar. Ein schlimmer Geruch lag über allem. Um hier zu helfen, wird es einer weiteren Reise bedürfen.
Am folgenden Tag fuhren wir nach Miyako, etwa 50 km nördlich von Kamaishi, und besuchten den Hikari Yochien. Hier ist die Kindergartenleiterin auch Gemeindemitglied, hat uns also auch als Kirchenvertreter gerne empfangen. Das Kindergartengebäude wurde nicht vom Tsunami erreicht und hat nur einige kleinere Erdbebenschäden. Aber der nagelneue Kindergartenbus ist überspült worden und hat einen Totalschaden erlitten. Wir werden uns aus den Bremer Geldern mit 10% an einer Neuanschaffung beteiligen.
Auf der Rückfahrt fuhren wir die fünfzig Kilometer nach Kamaishi an der Küste entlang über Yamadacho und Otsuchi. Ich war schockiert angesichts der riesigen Müllhalden, der Zerstörung und des Durcheinanders.
Was für Verwüstungen die Gewalt des Meeres angerichtet hat, ist unvorstellbar, selbst wenn man davor steht. Und dann, nur eine Straße, nur ein Haus weiter, sieht es aus, als ob nichts geschehen wäre. Allmählich begreife ich die Schicksalsergebenheit der Japaner: je nachdem, wo man sich befand, ist man am Leben oder nicht, hat man alles verloren oder nicht.

Unsere zweite Projektidee ist einen Schritt weiter gekommen:

Musik für Kamaishi

Wir haben Herrn Professor Yamazaki und seine Frau Shoko besucht und ihnen eine neue Partitur von Beethovens 9. Symphonie überreicht. Herr Yamazaki, der die Neunte von Beethoven viele Male in Kamaishi einstudiert und dirigiert hat, war zu Tränen gerührt und hat uns versichert: auch in diesem Jahr wird die Neunte in Kamaishi erklingen!
Wir werden uns mit den deutschen Spendengeldern daran beteiligen, das Projekt möglich zu machen.
Auch die Vertreter der Stadt Kamaishi zeigten sich sehr interessiert am Gelingen des Projekts.
Sehr beeindruckt hat mich in diesem Zusammenhang unser Besuch in der Kamaishi Higashi Chugakko, die nach dem Beben zusammengeführt wurde mit einer anderen Mittelschule, Kamaishi Chugakko. Die Schüler dieser Schule hatten gerade Chorprobe für die Neunte von Beethoven, als das Erdbeben geschah. Zum Glück waren sie nicht in Schulbussen oder sonst wie auf dem Nachhauseweg. Von der Schule konnten sie sofort zusammen mit den Grundschülern der benachbarten Grundschule, Unosumai Shogakko (wo das Auto im Fensterrahmen sitzt - jetzt aufgeteilt in 2 Schulen: Kosano und Futaba Shogakko), auf die sicheren Hügel in der Nähe rennen - und sind alle gerettet. In diesem Jahr werden alle Schüler der Mittelschule an der Aufführung der Neunten teilnehmen.
Deshalb scheint es mir ein starkes Symbol der Hoffnung, dass die Neunte in diesem Jahr zum 34. Mal in Kamaishi aufgeführt wird, und wir sind glücklich, dazu einen Beitrag leisten zu können.

Zwei Fischer haben wir kennen gelernt, die im Tsunami ihre Boote verloren haben, wie die Mehrheit der etwa 3000 Mitglieder der Fischereigenossenschaft Kamaishi. Sie haben meist von der Kultivierung der Jakobsmuschel und vom Wakame-(Seetang-)Anbau gelebt. All diese Muschel- und Seetangfelder sind zerstört, und es wird Jahre dauern, sie neu zu kultivieren, bis sie einen Ertrag abwerfen. Aber die Fischer üben diesen Beruf seit Generationen aus. Für sie kommt nichts anderes in Frage, auch wenn sie jetzt nicht arbeiten können und oft kein Einkommen haben. Wir würden ihnen gerne, wenn auch nur sehr symbolisch, helfen, ein neues Leben wieder zu gewinnen.
Olaf Eckhoff

Freitag, 6. Mai 2011

Bericht aus Iwate, 30. April - 4. Mai 2011

Eine kleine Gruppe aus unserer Evangelischen Gemeinde Deutscher Sprache in Tokyo fuhr nach Iwate, um die Menschen kennen zu lernen, denen wir die aus Deutschland kommenden Spenden weitergeben werden.

Mitgefahren sind: Jesper Weber, Renate Tamamushi, Naoto Umemoto und Elisabeth Hübler-Umemoto. Am Ort trafen wir zusammen mit Mineko und Masami Yokoyama, alten Freunden der Umemotos. Als „Reiseführer“ diente uns der Stadtrat aus Kamaishi, Herr Goda, der uns mit viel Engagement sehr interessante Menschen vorstellte, die ihre Stadt auf keinen Fall im Stich lassen wollen.
Hier Jesper Webers Bericht:


Die Anfahrt

Der Verkehr auf der Autobahn nach Norden aus Tokyo heraus fließt, am Gepäck erkennt man zwar, dass viele als Helfer ins Katastrophengebiet unterwegs sind, der befürchtete Stau zu den „Golden Week”-Feiertagen bleibt aber aus. Viele lokale Verwaltungen hatten einen „Freiwilligenstopp“ verhängt, nachdem die Quoten gefüllt waren.

Das ist gut so, denn wer als Tourist nur zum Schauen käme, ginge nicht ohne psychischen Schaden wieder weg. Die Bilder und Eindrücke lassen sich seelisch nur verarbeiten, wenn man konkret und aktiv etwas beitragen kann.

Der Nordosten und speziell die Pazifikküste war ein beliebtes Urlaubsgebiet, die fjordähnliche Küste „Sanriku” war sogar eine der „drei japanischen Landschaften”, und auch landeinwärts reihen sich malerisch Dorf an Dorf zwischen wunderschönen Bergen, Wäldern, Flüssen und Feldern.

Das Epizentrum des Bebens war im Pazifik vor der Küste der Präfektur Miyagi, südlich davon liegen Fukushima, Tochigi und Chiba, nördlich Iwate. Insgesamt war ein Küstenstreifen von über 500 km Länge vom Tsunami betroffen. Ab Fukushima wird die Autobahn wellig, streckenweise zum Waschbrett. Viele Stellen sind frisch asphaltiert, Straßenmarkierungen wie Mittellinien fehlen oft, ebenso die Leitplanken. Speziell Brücken, die wegen ihres Betonfundaments nicht oder nur wenig abgesunken sind, stehen deutlich höher als die Fahrbahn davor und danach. Andere sichtbare Schäden im Landesinneren beschränken sich auf einige herabgefallene Dachziegel, so dass die Dächer mit blauen Planen abgesichert wurden, und wenige sichtbar neue Erdrutsche.

Ungefähr ein Zehntel des Verkehrs auf der Autobahn sind Fahrzeuge der Selbstverteidungs-Streitkräfte (SDF, das japanische Berufsmilitär), die meisten sind durch ein Banner klar als im Katastropheneinsatz markiert.

Tohno

Die Stadt Tohno in der Präfektur Iwate liegt 50 km landeinwärts und hat Zubringerstraßen nach Kamaishi (Kama‘ishi), Otsuchi (Oh-tsutschi), Rikuzen Takata, Ofunato (Oh-funato) und anderen von der Welle zerstörten Küstenstädten. Die Hälfte der im Katastrophengebiet eingesetzten Truppen und viele freiwillige Helfer haben hier Quartier bezogen, das Militär hat in Tohno mehrere Zeltstädte aufgebaut.

Das Hotel ist hauptsächlich von Erdbebenhelfern belegt. Eine Gruppe von Ärzten und Krankenschwestern aus Osaka ist seit dem 22. März im Hotel stationiert. Das halbe Team wechselt jeweils nach einer Woche. Wir schämen uns etwas, als wir merken, dass sie morgens schon um 6:00 Uhr frühstücken, um 7:00 Uhr losfahren und abends erst gegen 8:00 oder 9:00 Uhr zurück sind. Sie sitzen dann schweigend am Tisch und essen erst einmal, bevor sich nach und nach die Spannung löst. Diese Leute stemmen ganz andere Gewichte als wir. Sie fahren jeden Tag nach Otsuchi und unterstützen dort die wenigen Überlebenden des Krankenhauspersonals.
Mitarbeiter eines Fernsehsenders sind ebenfalls sehr lange dort und wechseln sich immer wieder ab. Solide Berichterstattung hält uns allen die Opfer im Gedächtnis. Hilfe wird ja noch auf Jahre benötigt.
Im Gästebuch ist eine lange Lücke zwischen einem Eintrag vom 9. März, in dem ein Fahrschüler, der aus Tokyo zu einem Intensivkurs angereist war, darüber staunt, wie kalt es im Norden noch ist, und dem nächsten Eintrag vom 25. März. Ein Einwohner von Kamaishi bedankt sich. Nach zwei Wochen hatten sein Sohn und er zum ersten Mal wieder genug Benzin, um die 42 km und zurück von Kamaishi nach Tohno zum Einkaufen zu fahren. Er hätte sich nicht träumen lassen, dass ihm im Hotel ein warmes Essen und ein Bad angeboten würden, beides das erste nach zwei Wochen.

Das einzige vom Beben zerstörte Gebäude in Tohno ist das Rathaus, aber es fällt auf, dass viele Häuser frisch gedeckte Dächer haben. Nach sieben Wochen sind die Erdbebenschäden an den Dächern schon behoben. Das Rathaus wurde in das einzige Kaufhaus am Ort ausgelagert und belegt dort ein halbes Stockwerk. Neben den Schaltern befindet sich die Abteilung für Damenmoden. Auf über der Hälfte der Fläche sind schwarze Kleider im Angebot: Trauerkleidung.

Der Weg nach Kamaishi

Auf der Strecke von Tohno nach Kamaishi sind am 1. Mai, 51 Tage nach dem Beben, bis auf einige fehlende Dachziegel und viele frisch gedeckte Dächer keinerlei Spuren von Verwüstung zu sehen. Am Ortseingang von Kamaishi sind die Convenience Stores geöffnet, gut bestückt und nehmen normale Preise.

Unter der Brücke über den letzten Fluss vorm Hafen liegt ein wenig Bauschutt, plötzlich türmt er sich dann am Straßenrand zu Bergen auf. Die Hausfassaden sind eingedrückt, total zerstörte und teilweise ausgebrannte Autowracks säumen den Weg. Größere Straßen sind frei geräumt, aber nach nur einigen Schritten in die Seitengassen geht es durch den Schutt nicht weiter. An einigen Stellen, die unter den Meeresspiegel abgesunken sind, steht noch das Wasser. Die trockenen Stellen sind mit weißem Pulver bedeckt, nicht Kalk zum Desinfizieren, sondern getrocknetes Salz, eine eindeutige Markierung, wie weit das Wasser gekommen ist.

Vor Kamaishi war ein 10 m hohes Bollwerk gegen Flutwellen errichtet worden, die Kosten dafür betrugen 200 Milliarden Yen, ungefähr 1,7 Milliarden Euro. Es war das höchste in der Welt und wurde trotzdem über- und weggespült. Stadtrat Goda verwehrt sich gegen Vorwürfe in der Presse, man hätte aus Hybris die Mauer nicht hoch genug gebaut. Sie haben nämlich dennoch die Fluten eine Weile zurückgehalten und so den Menschen fünf zusätzliche Minuten zur Flucht verschafft, außerdem wurden viele Stadtteile vor der Überflutung bewahrt.

Ebenso hat eine erst sieben Tage vor der Katastrophe eröffnete Küstenstraße zwischen Kamaishi und Otsuchi, die weit oben am Hang verläuft, vielen Menschen das Leben gerettet. Wer die neue Straße noch nicht kannte und auf der alten mit dem Auto unterwegs war, wurde weggespült.

In Kamaishi sind 20 Prozent der Häuser zerstört. Der zweite Tsunami, der zehn Minuten nach dem ersten kam und weitaus höher war, forderte die meisten Todesopfer, die wieder nach unten gegangen waren, um ihr Haus zu verbarrikadieren, von Hügeln nach Hause zurückkehrten, um Wertsachen zu sichern, oder sich auf den Weg vom ersten Fluchtort in die designierten Aufnahmelager machten. Von 40.000 Einwohnern sind 801 tot aufgefunden worden, 124 davon konnten noch nicht identifiziert werden. 554 werden noch vermisst und 2.396 leben in Notunterkünften.

Otsuchi

Im benachbarten Otsuchi wurden über 80 Prozent der Häuser zerstört. Nach dem Beben trug der Tsunami brennendes Öl aus einem Kombinat am Hafen in die Stadt, nach der Feuersbrunst sind nur noch Haufen ausgebrannter Autos und einige Betonteile zu sehen. Vielen Einwohnern ist die Flucht nicht gelungen. Sie kannten sich mit Tsunamis aus und beobachteten das Meer, ob es sich zurückziehen würde, was ein typischer Vorbote in seichten Gewässern ist. Niemand konnte wissen, dass der Seeboden sich in Küstennähe durch das Beben stark abgesenkt hatte und der Wasserpegel somit gleich blieb.

Von 16.000 Einwohnern wurden 700 tot geborgen. 1.000 werden noch vermisst. Auf einer Anhöhe in 200 m Entfernung vom Hafen Otsuchi steht ein Gymnasium. Minuten nach dem Beben raste eine 10 m hohe Wasserwand auf die Schule zu und überflutete die unteren drei Stockwerke. Die meisten Leichen in Otsuchi sind bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Alle Zahnarztpraxen mit ihren Unterlagen sind ebenfalls weggespült und verbrannt worden, sämtliche Zahnärzte sind ums Leben gekommen. Wenn möglich wird die Identifizierung daher anhand von Daten wie vermutetem Aufenthalts- und späterem Fundort vorgenommen, so beispielsweise ein Busfahrer, der am Steuer seines ausgebrannten Fahrzeugs gefunden wurde.

Häuserruinen werden an ganz anderen Orten gefunden als wo sie gestanden hatten, und wo die Straßen verliefen ist nicht zu sehen. Deshalb werden bei den Aufräumarbeiten Fotoalben geborgen und vorsichtig gereinigt, während alles andere, ohne Rücksicht auf Eigentumsverhältnisse, abgeräumt wird. Die gefundenen Fotos werden in der Ruine des Gymnasiums ausgestellt, um erstens Menschen ihre Erinnerungen zu erhalten, und zweitens und fast noch wichtiger, anhand der Fotos beziehungsweise ihrer Fundorte Anhaltspunkte darauf zu erhalten, wo das Haus gestanden und wer darin gewohnt hat. Dadurch wird die Identifizierung erleichtert.

Die aufräumenden Soldaten müssen nach jeweils fünf Tagen abgezogen werden, denn länger ist der Einsatz psychisch nicht zu ertragen. Früher war es schlimm und selten, eine Leiche zu finden. Nunmehr ist es erleichternd und für die Menschen fast ein Anlass zur Freude, weil so ein Abschluss gefunden wird.
Stadtrat Godas größte Furcht ist, dass die Kommune auseinander gehen wird, weil die Industrien nicht zurückkommen und daher keine Arbeitsplätze erhalten bleiben. Neben der Fischerei waren ein Stahlwerk und eine Fabrik für Roboter-Bauteile die Hauptarbeitgeber in Kamaishi. 90 Prozent der Fischerboote im gesamten Katastrophengebiet wurden zerstört, Stahlwerk und Fabrik liegen in Ruinen. Vereinsamung ist eine weitere Sorge. Viele alte Menschen, die eigentlich in ihre Häuser zurückkehren könnten, kommen nach wenigen Tagen wieder in die Aufnahmelager zurück. Dort gibt es zwar keine Privatsphäre, dafür aber Gemeinschaft und etwas Unterhaltung, so dass die Enge als kleineres Übel zum Leben in einer zur Geisterstadt gewordenen Nachbarschaft erscheint.


Shinsei-Kamaishi Kirche

Gott, hilf mir!
Denn das Wasser geht mir bis an die Kehle.
Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist;
Ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.

(Psalm 69, 2-3)

Vom Hafen breitet sich die Stadt Kamaishi ebenerdig für etwa 500 m zu fjordähnlichen Bergen hin aus. Die Shinsei-Kamaishi Kirche ist an den Berghang gebaut.
Vor Beginn des Gottesdienstes am 1. Mai kommt ein Ehepaar aus einer Vorstadt von Tokyo mit dem Fahrrad. Sie haben über 500 km einen Gaskocher mitgebracht, um frischen Kaffee auszuschenken. Nachdem alle bedient sind, sammeln sie die Becher ein und fahren weiter zur nächsten Station. Ein Notarztwagen aus Osaka steht vor der Kirche als provisorische Krankenstation, ein Arzt aus Nepal leistet Dienst. Unter einem Baldachin sind Helfer versammelt, unter ihnen eine ausgebildete Psychologin aus Yokohama, die jeden Passanten begrüßt.

Vor der Kirche steht eine Tafel mit einer Liste der Hilfsgüter, die ausgeteilt werden. Windeln, Wasser, Notrationen, Schuhe und anderes sind zu haben. Die Liste daneben für Dinge, die benötigt werden, ist leer. Was die Menschen wirklich brauchen sind Autos und Geld, um vor der Stadtgrenze einkaufen zu können.

Zum Gottesdienst haben sich 50 Gläubige aus ganz Japan eingefunden, Einwohner von Kamaishi, deren Angehörige aus anderen Städten, Helfer und Besucher. Der Kirchenraum ist weiß gestrichen, auf 4 m Höhe zieht sich waagerecht eine schmutzig-graue Linie. So hoch stand das Wasser. Unter dem Kreuz an der Altarseite ist die Wandverkleidung über eine Länge von 5 m weggedrückt worden, das Isoliermaterial liegt frei.
Pfarrer Yanagiya trägt, wie die meisten japanischen Pfarrer, keinen Talar. Es gibt keinen Altar und keine Kanzel, deshalb sitzt er vor der Gemeinde an einem Tisch. Er eröffnet den Gottesdienst, indem er die Anwesenden gruppenweise vorstellt. Alle werden mit kurzem Applaus begrüßt. Anstelle von Gesangbüchern, die das Meer sich geholt hat, sind das erste Lied und das Vaterunser in großer Schrift auf eine Tafel geschrieben. Für die weiteren Lieder spricht ein Gemeindemitglied den Text satzweise in die Atempausen. Die Musik trägt ein Geiger bei, der auch die Lieder begleitet.

Im Gebet spricht er davon, dass seit dem Beben und der Welle knapp zwei Monate vergangen sind. Es ist Mai geworden. Auch in Nordjapan blühen nun die Kirschen und der Frühling hat begonnen. Aber am 11. März ist für ihn die Zeit stehen geblieben.

Er beginnt zu weinen und braucht einige Sekunden, um sich zu sammeln. Er ist nicht der Einzige, und es bleibt nicht beim einen Mal.
In der Kirche gibt es auch nach sieben Wochen noch keinen Strom, und zwar fließendes Wasser, aber keine Abwasserleitungen. Natürlich wünschen sich alle Gemeindemitglieder eine schnelle Wiederherstellung der Infrastruktur, andererseits ist allen bewusst, dass sie nicht zu ihrer alten Realität zurückkehren können. Daher wird überlegt, einige Stellen nicht zu reparieren, und beispielsweise keinen neuen Flügel zu kaufen, sondern den alten zu reinigen und ewig verstimmt weiter zu benutzen. Die Wunden verheilen, aber Narben bleiben.

Die Predigt zu Johannes 20, 19-31 behandelt, wie der Jünger Thomas nicht an die Berichte von Jesu Auferstehung glauben will, ohne den Herrn mit seinen eigenen Augen gesehen und seine Wunden befühlt zu haben.

Ohne die Verwüstungen vor Ort mit eigenen Augen gesehen zu haben, kann man nicht glauben und verstehen, was die Bilder im Fernsehen zeigen.

Ohne einen Tsunami von 10 m Höhe und mehr zu sehen, kann man nicht glauben und verstehen, was die Natur für Kräfte hat.

Ohne die Hand in die Wunden zu legen, kann die Gemeinde keinen Glauben in an die Auferstehung der Stadt und ihres Lebens fassen.

Christus musste sterben, um aufzuerstehen, musste Wunden erleiden, um zu sterben. Und so mögen die Wunden der Stadt der Anfang ihrer Wiederbelebung sein.

Anstelle des Abendmahls wird durch das Teilen eines Brotlaibs an die Stunden und Tage nach der Welle erinnert. Die wenigen, die etwas Essbares hatten, haben es geteilt mit den vielen, die nichts hatten. Es hat für alle gereicht, bis Hilfsgüter angeliefert werden konnten.

Im Gottesdienst wird ein selbstgebackenes Brot vom Pfarrer in fünf Stücke gebrochen, die er den Teilnehmern in der ersten Reihe reicht. Jeder bricht sich etwas ab und gibt den Rest weiter. Weil es kein Abendmahl ist, können auch Kinder und Nichtgetaufte teilnehmen.

Und wie bei der Speisung der 5.000 kommt tatsächlich viel wieder vorne an.

Gott ist unsere Zuversicht und Stärke,
eine Hilfe in den großen Nöten, die uns getroffen haben.
Darum fürchten wir uns nicht, wenngleich die Welt unterginge
und die Berge mitten ins Meer sänken,
wenngleich das Meer wütete und wallte
und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.

(Psalm 46, 2-4)


Kamaishi-Hoiku-en Hort

Frau Fujiwara läuft nach dem Gottesdienst zum ersten Mal seit einigen Wochen auf den von ihr geleiteten „Kamaishi Hoiku-en“-Hort zu, und stellt mit Freude fest, dass die Straße wieder sauber sei. Dabei ist es tatsächlich nur die Fahrbahn selbst, die Häuser liegen in Ruinen, Autowracks und Müll versperren den Bürgersteig. In der ersten Zeit nach dem Beben, als sie nach Akten und brauchbaren Sachen suchen kam, waren die Straßen durch Schlamm, Schutt und tote Körper unpassierbar. Jetzt steht eine Kiste mit gelben, kindersicheren Scheren vor dem Eingang, die Helfer geborgen und gereinigt haben.

Am 11. März machten 78 Kinder im Alter von null bis fünf Jahren Mittagsschlaf, als die Erde sich um 14.46 Uhr aufbäumte. Der Hort liegt weniger als 500 m vom Hafen entfernt am Kopf einer Sackgasse, die geradeaus zum Berg an der Kirche führt, und macht regelmäßig Evakuierungsübungen.

Die Kinder schliefen im Erdgeschoss und waren nach nur zehn Minuten in Bollerwagen gepackt oder in Schlangen aufgestellt, und mit den sechs Erziehern und einem Verwaltungsangestellten zum Abmarsch bereit. Nicht nach Plan lief, dass die Straße vor dem Hort schon dann komplett mit Autos verstopft war. Weder die Bollerwagen, noch die benachbarte Feuerwehr konnten ausrücken. Ebenfalls anders als in den Übungen wurde über das öffentliche Lautsprechersystem nicht vor einem Tsunami, sondern vor einem Super-Tsunami gewarnt. Niemand wusste zwar, ab wann ein Tsunami zu einem Super-Tsunami wird, aber das nie vorher gehörte Wort versetzte sie in Furcht. Frau Fujiwaras Erinnerungen sind nicht ganz klar, sie meint, dass entweder die Feuerwehrleute oder die Lautsprecher ankündigten, eine Wasserwand von 10 m rase auf die Stadt zu. Vielleicht, so sagt sie, hat sie das aber auch erst später in ihre Erinnerungen eingebaut.

Jedenfalls entschied sie, anstelle zur 500 m entfernten Grundschule, die als Fluchtpunkt vorgeschrieben war, die 100 m geradeaus zum Park auf dem Berg zu gehen.

Diese Entscheidung hat allen Kindern in ihrer Obhut das Leben gerettet.

Nachdem die Kinder mittels einer Menschenkette auf den Hügel getragen waren, ging der Verwalter, Herr Yahata, noch mal zurück. Es war ein kalter Tag, und die Kinder trugen nur ihren Schlafanzug, also wollte er aus dem Hort Decken für sie holen. Er griff einige Futons, wieder aus der Tür heraus hörte er fürchterliches Getöse, ließ die Futons fallen und rannte um sein Leben. Sofort nachdem er den Hügel wieder erreicht hatte, schlugen von links und rechts die Fluten zusammen und setzten die Stadt 4 m unter Wasser. Viele Fahrer in den Autos, die die Straße blockiert hatten, wurden weggeschwemmt. Andere überlebten die Nacht an Strommasten festgeklammert, bis sich morgens das Wasser zurückzog.

Sechs Kinder wurden noch von ihren Eltern abgeholt, bevor die Welle ankam. Sie sind ums Leben gekommen. Andere Kinder haben ihre Eltern verloren, die sie in der Grundschule abholen wollten und nach dem ersten Tsunami Richtung Hort aufbrachen, als sie sie dort nicht fanden. Auf dem Weg wurden sie vom zweiten Tsunami erwischt.

Die nächsten drei Tage und Nächte mussten die Kinder und Erzieher ohne frisches Wasser und ausreichendes Essen im benachbarten Krankenhaus ausharren. Keines der Kinder soll geweint haben, sie standen zu sehr unter Schock.

Vom Hort stehen nur noch die Außenwände. Auf dem Spielplatz im Garten türmt sich Schutt, Autowracks wurden bis in die Räume getragen. Am 1. April hat er 8 km landeinwärts wieder geöffnet. Ein gerade erst geschlossenes Kindergartengebäude wurde von der Stadt ohne Miete zur Verfügung gestellt, und kann für drei Jahre benutzt werden. 38 Kinder, inklusive einiger Neuzugänge, sind zurückgekehrt.


Osanago-Yochien Kindergarten

Der Kindergarten Osanago-Yochi-en in Otsuchi liegt 400 m vom Meer entfernt. Als die Erde bebte, warteten die letzten 17 Kinder und sieben Erzieherinnen gerade auf den Bus. Die Erzieherinnen erinnerten sich an einen 50-cm-Tsunami vor einigen Jahren, und entschieden, die Kinder zu einem benachbarten Tempel zu evakuieren. Von dort wurden sie weiter auf einen Berg geschickt.

Nach nur zehn Minuten stand das Wasser im Kindergarten 2,20 m hoch. Spielplatzgeräte wurden später über 100 m landeinwärts gefunden, im Vorgarten lagen vier Leichen.

Im Büro hatte die Leiterin kurz vor dem Beben die Abschlussurkunden für den ältesten Jahrgang in Mappen gespannt und diese aufgeschlagen auf dem Schreibtisch liegen lassen. Am Tag nach dem Beben lagen sie wieder genau am gleichen Platz, trocken und unbeschädigt. Sie müssen auf dem eindringenden Wasser getrieben und wieder herabgesunken sein. Die Erzieherinnen haben sie einzeln an die Familien überbracht, als sie Besuche machten, um sich nach dem Schicksal der Kinder zu erkundigen.

Von den 17 Kindern sind alle bis auf eins, das von der Mutter noch abgeholt wurde und mit ihr ertrunken ist, gerettet worden. Sie haben die nächsten Tage mit den Erzieherinnen im Aufnahmelager verbracht, bis die Familien sie abholen konnten.
Die Leiterin, Frau Hakoyama, eine 80-jährige Dame, will ihr Lebenswerk nicht aufgeben, und mit einem funktionierenden Kindergarten und kommunalen Zentrum die Rückkehr in den Ort erleichtern. Die Erzieherinnen haben einen Monat lang geputzt und geräumt, erst allein, nach zwei Wochen mit Helfern. Anfänglich war Otsuchi für Freiwillige gesperrt, nur die SDF kümmerte sich um Rettung und Bergung, weil die Gase nach der Feuersbrunst für zu gefährlich gehalten wurden. Wasser gibt es erst seit dem 30. April wieder.

Von den ursprünglich 64 Kindern sind 34 weiterhin eingeschrieben, jeden Tag kommen ungefähr 20, nur zwei davon wohnen noch in ihrem alten Haus. Die anderen sind bei Verwandten oder in Aufnahmelagern untergekommen, teilweise über 20 km entfernt. Sie können oft erst spät abends abgeholt werden. Anders als ein Hort haben Kindergärten keine Küche, und viele Eltern können in den Notlagern keine Essenspakete zubereiten. Also helfen alle mit, die eine funktionierende Küche haben.
Draußen dürfen die Kinder nicht spielen, weil aus den ausgebrannten Ruinen weiterhin Schadstoffe und Gerüche herüberwehen. Die Fußbodenheizung im Kindergarten ist vom Wasser zerstört worden und die Wände sind feucht, aber strukturell wurde das Gebäude nicht stark beschädigt.

Viele Kinder weigern sich, zurück zu kommen, weil sie den Stress der täglichen Fahrt durch die Ruinenlandschaft nicht ertragen. Die Kinder, die kommen, spielen „Rennt-der-Tsunami-kommt!“ und klammern sich bei Nachbeben an die Erzieherinnen.

Alle 34 Kinder haben entweder ihren Vater, der am Arbeitsplatz ausharrte, oder ihre Mutter, die sie abholen wollte, oder ihre Großeltern, die die Flucht nicht schafften, verloren. Alle 34. Und von den 47 Kindern, die am Tag des Bebens nicht anwesend oder schon nach Hause gegangen waren, berichten die Erzieherinnen nicht, nachfragen verbietet sich.


Notunterkunft in der städtischen Sporthalle Kamaishi

Die Überlebenden teilen sich in zwei Gruppen: Menschen, die eine Aufgabe gefunden haben, und Menschen, die passiv und resigniert in den Notunterkünften sitzen. Erstere sind gesprächig und freuen sich über Interesse. Alle, die mit dem Leben davongekommen sind, haben andere beobachten müssen, die es nicht geschafft haben. Um sich selbst zu retten, mussten viele von ihnen aufgeben, anderen zu helfen. Im Gespräch ist sofort zu spüren, wer von ihnen Angehörige verloren hat: sie stehen unter enormem Druck, die Fassung zu bewahren, aber nach einigen Minuten bricht es doch aus ihnen heraus und sie erzählen ihre Geschichte, wie viele Verwandte gestorben sind oder noch vermisst werden. Sie wirken dankbar, dafür, dass ihnen zugehört wird, werden aber vielleicht nach dem Ansturm der Helfer während der Feiertage in ein neues Loch fallen.
Herr Maruki, der Chef vom Hotel Sunroute am Hafen von Kamaishi und Vorsitzender des Sozialvereins der Stadt, wurde nach einem späten Mittagessen daheim mit Freunden an seinem freien Tag vom Beben überrascht, als diese gerade gegangen waren. Seine Frau hörte beim Abwaschen ein Geräusch, wie fünf oder sechs Düsenjäger im Tiefflug auf das Haus zu rasen. Weil normalerweise keine Militärflüge über Kamaishi stattfinden, schaute sie aus dem Fenster und sah, wie der Tsunami über das Bollwerk kam. Zusammen machten sie sich Richtung Berg auf, die meisten Nachbarn hörten nicht auf ihre Warnungen, hielten das Bollwerk, welches ja das größte in der Welt war, für sicher und starrten der Gefahr ins Auge. Die Marukis haben sich nur einmal umgedreht, dann sind sie um ihr Leben gerannt. Die Welle war höher als sie.

Herr Maruki, dem Haus und Arbeitsplatz weggespült wurden, und der nur mit dem nackten Leben davon kam, fühlt sich seit dem 11. März wie im falschen Film, als hätte jemand mit einer großen Fernbedienung den Kanal im Fernseher seines Lebens umgestellt. Viele obdachlos gewordene stehen wie gelähmt vor den Trümmern, wissen nicht, wo sie anfangen sollen. Eine Stelle frei zu räumen bringt die Stadt, das Haus, das alte Leben nicht zurück, und keine einzelne Stelle scheint wichtiger als irgendeine andere. Es ist kaum möglich, sich einen Ruck zu geben. So fällt den Freiwilligen die wichtige Rolle zu, loszuschaufeln, wo sie gerade stehen, den ersten Schritt zu tun. Daher wird vom Stadtrand in Richtung Hafen gearbeitet.
Jetzt koordiniert Herr Maruki die Verteilung der Hilfsgüter in Kamaishi, und lebt selbst in einer als Notunterkunft dienenden städtischen Sporthalle. Priorität hat für ihn der Bau von Häusern, um den Menschen ein Licht am Ende des Tunnels zu zeigen. 3.200 Einheiten sollen für Kamaishi und Otsuchi gebaut werden, aber es gibt kaum verfügbare Flächen. Ebener Grund ist nur in Küstennähe, die Gebiete dort sind verwüstet, oftmals unter den Meeresspiegel abgesunken, und der Boden langfristig durchnässt. Die Regierung musste die Bebauung aus Gründen der Tsunamigefahr weitflächig verbieten. Es stehen also nur Parks, Sportplätze und Schulhöfe zur Verfügung.
Ein Fertighaus mit zwei Zimmern, Küche und Bad kostet 5 Millionen Yen, etwas mehr als 40.000 Euro. Das Rote Kreuz stellt in jede Wohnung ein 6er-Set an Geräten: Kühlschrank, Klimaanlage, Waschmaschine, Herd und Spüle, Mikrowelle, Fernseher. Die Regierung hat versprochen, bis Ende August mit dem Bau fertig zu sein, aber die Marukis stellen sich auf eine längere Wartezeit ein. Als Ehepaar im Vorrentenalter ohne Kinder werden sie als letzte eine neue Wohnung zugeteilt bekommen, bis dahin leben sie in der Sporthalle, in der der einzige Ort, in dem man nicht den Blicken der anderen ausgesetzt ist, zwei in der Halle aufgebaute Campingzelte sind. Und die sind den Kindern für ihre Hausaufgaben vorbehalten.

Er appelliert auch an die Stadt, das Rathaus am alten Ort im Hafenbezirk wieder aufzubauen, trotz der Tsunamigefahr. Die Einwohner müssen wohl oder übel das Rathaus besuchen, und mit dem Publikumsverkehr würden auch Geschäfte und Restaurants in die Einkaufstraße zurückkehren.

Das alles erklärt er lächelnd und mit viel Energie, während seine Frau einer aus der Präfektur Miyazaki in Südjapan angereisten Gruppe beim Kochen von Eintopf für 200 Personen hilft. Er sagt aber auch: Wir weinen bis zur Brust, darüber strengen wir uns an, zu lächeln und das Leben in die Hand zu nehmen. Und zum Abschied sagt er uns: Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich nicht so gewaltig anstrengen müssen, wie wir es jetzt tun müssen.


Beethovens Neunte

Genauso wie Herr Maruki steht der Hochschullehrer Prof. Yamazaki vor dem Nichts und weigert sich, vor dem Aus zu stehen. Auch er ist mit seiner Frau vor dem Tsunami weggelaufen und mit dem nackten Leben entkommen. Jetzt leben sie in einem buddhistischen Tempel, der als Notunterkunft dient, und von dessen Parkplatz sie dem Tsunami zusehen mussten, wie er ihr Haus zerstörte. Die ersten zehn Tage waren dort bis zu 530 Flüchtlinge untergebracht, es war zu eng, um im Sitzen oder Liegen die Beine auszustrecken, es gab keine Kleidung zum Wechseln und kein Bad.
Prof. Yamazaki ist Musiker. Seit 33 Jahren wird in Kamaishi am zweiten Sonntag im Dezember Beethovens Neunte Symphonie aufgeführt. Schon die Mittelschüler üben die Chorpartien, sogar Kindergartenkinder und Grundschüler singen kurze Passagen mit. Begleitet werden sie von Orchestern, die hauptsächlich aus Tokyo anreisen. Prof. Yamazaki dirigiert seit einigen Jahren. Als Zugabe gibt es traditionell den Schlusschor mit 1.500 Stimmen: das Publikum singt mit und viele reisen deshalb aus ganz Japan zu dem Konzert an, um in den Chor einzustimmen.

Aufführungsort war die Stadthalle, die vom Tsunami schwer beschädigt wurde und wahrscheinlich abgerissen werden muss. Viele Instrumente wurden weggespült, und Prof. Yamazaki hat seine Partitur mit eigenen Notizen verloren.

Jetzt erst recht. Die Hürden wirken unüberwindlich, aber Kontinuität und Zusammengehörigkeitsgefühl, Mut und Hoffnung, und auch Stolz sind nötig, um Kraft aus der Zukunft zu schöpfen, wie Prof. Yamazaki es ausdrückt. Dieser Wunsch wird auch von unserem „Reiseführer“ Stadtrat Noda und vielen anderen wiederholt geäußert, so dass sie versuchen wollen, wahrscheinlich in kleinerem Rahmen, in einer Sporthalle und mit Begleitung durch mindestens ein Kammerorchester, jedenfalls diese Tradition ohne Unterbrechung weiterzuführen.

Viele Bürger von Kamaishi wissen, dass im Berliner Dom, in der Philharmonie und an vielen anderen Orten Benefizkonzerte zugunsten Japans gehalten wurden. Das hat ihnen viel Kraft gegeben, und in Erinnerung gerufen, dass Musik zwar vielleicht nicht zum Leben unbedingt nötig ist, und daher in Kamaishi rational kaum Priorität hat, aber eben doch so viel bewirken kann, dass die Aufführung der Neunten Symphonie gerade dieses Jahr unverzichtbar ist.


Ortsausfahrt

Neben der Ortsausfahrt steht abends ein alter Mann am Straßenrand und schaut auf die Nummernschilder der wegfahrenden Autos. Jedes Mal, wenn er eines von außerhalb der Präfektur entdeckt, reißt er ein handgeschriebenes Schild hoch wie ein Nummerngirl zwischen den Runden beim Boxkampf:

„Danke fürs Helfen!“


Bis hierher: Text von Jesper Weber mit einigen Ergänzungen von E. Hübler-Umemoto. Bilderalbum zum Text hier.

Ofunato und Rikuzentakata

Zwei Ortschaften südlich von Kamaishi. Ofunato liegt in einem engen Fjordtal und ist zu einem Drittel zerstört. Die evangelische Kirche liegt etwas erhöht und ist vollständig erhalten. Pfarrer Muraya begrüßt uns und zeigt uns den Gemeinderaum, der zu einem Warenlager umfunktioniert wurde. Hier können sich die Menschen holen, was sie zum alltäglichen Leben brauchen: Windeln, Kleidung, Schuhe, Kinderspielzeug, Papier und Stifte, Zahnbürsten. Lauter Spenden, die aus ganz Japan gekommen sind.
In der Kirche übernachtet eine Studentengruppe aus Tokyo, die über die goldene Woche als Helfer im Einsatz sind.
Anschließend fahren wir nach Rikuzentakata, einer Nachbarstadt, die unsere Freunde, Ehepaar Yokoyama, oft besucht haben. Mit Entsetzen sehen wir die Stadt dem Erdboden gleich gemacht. Ein vorgelagerter Kiefernwald ist bis auf einen Baum nur noch an den abgebrochenen Stümpfen zu erkennen. Die Schutzmauer gegen Tsunamis ist weggespült, nur ein einsames Fluttor ist stehen geblieben. Zu den angrenzenden Bergen hin türmen sich die Schuttberge der Häuser, Autos und der vielen Gegenstände, die vorher diese Stadt gebildet haben. Die Straße, auf der wir fahren, ist ganz neu geteert, provisorisch wieder hergestellt für die schweren Räumfahrzeuge, die überall fahren, Metall von Brennbarem trennen und große Abfallberge errichten. Hier hatten die Menschen keine Überlebenschance. Zu weit entfernt waren die umgebenden Berge, zu weit entfernt für die meisten auch das Hotel mit seinen 7 Stockwerken, von denen die Tsunamiwellen bis zum 3. Stock gekommen sind.


Frühling in Iwate
Auf dem Rückweg fahren wir bewusst durch ein malerisch schönes Tal, gesäumt von Bergen bedeckt mit Mischwäldern, die sich in den verschiedensten frühlingshaften Grün-, Rot- und Gelbtönen zeigen. An allen Ecken, auch in den Wäldern, immer wieder blühende Kirschbäume. Die Straßenränder gesäumt von endlosen Reihen von Osterglocken, tiefrosa Steingarten-Blüten in großen Flächen in den Gärten, vom Wasser schimmernde Reisfelder vor einem tiefblauen Himmel.

Die Natur, die sich so grauenvoll, so zerstörerisch gezeigt hat, hier zeigt sie ihr liebliches Gesicht. Auch in diesem Jahr ist Frühling geworden und wir halten uns fest an dieser Schönheit, um ertragen zu können, was wir gesehen haben.

In Tohno ist Frühlingsfest mit traditionellem Löwentanz. Lokale Tanzgruppen treten auf, zwischendrin Musiker aus der Gegend, die aber jetzt in Tokyo arbeiten. Sie sind angereist, um den Menschen in ihrer Heimat neuen Mut und neue Kräfte zu geben durch die Musik.

In „normalen“ Jahren sind in dieser Zeit auch viele Touristen unterwegs. In diesem Jahr haben die vielen freiwilligen Helfer die Quartiere zum Übernachten besetzt. So ist das Publikum des Festes nur klein, aber man spürt den Zusammenhalt der Menschen und den Willen, etwas füreinander zu tun.
Abreise

Am folgenden frühen Morgen verabschieden wir uns von den Wirtsleuten, die nach alter Ryokan (japanisches Gasthaus)-Tradition alle vor der Haustür stehen und sich zum Abschied tief verbeugen. Ein Familienbetrieb, bestehend aus dem Besitzerehepaar, der Tochter, einer Tante und dem Enkel, der kocht. Sie haben alle seit dem 11. März keinen freien Tag gehabt, aber sie sind sehr freundlich und hilfsbereit. Auch sie sind Erdbebenhelfer.

Kamaishi, wir werden sicher wieder kommen, um den Menschen auf unsere bescheidene, eher symbolische Weise Mut zu geben, den Wiederaufbau zu wagen.
Elisabeth Hübler-Umemoto

Die Bilderserie zu oben stehendem Bericht finden Sie im Webalbum.