Montag, 17. Dezember 2012
Tokyo Saizensen in Kamaishi
We went to Kamaishi, Iwate, from November 23rd to 25th.
We left Tokyo early in the morning on the 23rd and took Shinkansen for three hours to Shin-hanamaki and Kamaishi Line for about two hours.
First, I was surprised to see that the city was very clean. The condition was not as terrible as broadcasted before because the debris was clears and the roads were reconstructed.
It looked deserted with only concrete buildings and new houses left.
In other words, it was a proof that all old wooden houses got washed away.
"There were wooden houses between these buildings," said Mr. Goda who guided and helped us.
He is a city council member and works devotedly for Kamaishi. I don't think the concert would have been possible without him.
He took us around the area by car after lunch.
First, we went to the harbor.
There was nothing.
Nothing at all.
"There used to be many shops here," he said.
After that, we went to Negishi Coast and Unozumai-cho which suffered the most destructive damages.
Negishi Coast was a popular beach before.
Now, however, we can only see the calm, beautiful sea without the beach.
Most of the people who run up the mountain survived.
A monument was built to remember the disaster.
Four hundred inhabitants, half of population of Unozumai-cho were killded.
Seeing the vast, weedy land extend in front of me, I couldn't believe that many houses used to be there.
Some tall concrete buildings that remained here and there showed us the devastating consequences of the disaster.
I saw marks from the water high up on the walls of the buildings.
Kamaishi-Yamada Line is called "Life Road" because the cars which reached here were unharmed.
It opened a week before the earthquake and runs on high ground.
When we returned to the city, we visited Kamaishi Church which was one of the main sites for volunteers.
There was a handcraft class that day.
"The victims who closed their hearts became able to speak their mind little by little while making things together," said a volunteer.
She said that the restoration of the city was obviously important but, at the same time, the emotional care of the people was also just as important.
Now that the debris is removed, it is need to just listen to the affected people.
They seek volunteers who can do that.
She said not only reconstruction but also entertainment was concurrently important.
I wondered what we could do with music, but she said it was very effective.
That day, we went to Houju Temple for a charity concert by The Boy & Girls Choir of Harlem Alumni Ensemble from New York.
Their harmony was truly wonderful and they sang traditional folk song of Kamaishi and Requiem for 9/11 in addition to their own repertoire.
Listening to the warm songs, the audience looked really happy.
Misae Onozawa auf facebook
Mittwoch, 14. November 2012
Tokyo Saizensen auf YouTube
Wer das Konzert von Tokyo Saizensen am 22. September in der Kreuzkirche verpasst hat, kann jetzt auf YouTube mal reinhören: Link.
Tokyo Saizensen spielt am letzten November-Wochenende in Kamaishi und Umgebung mehrere Benefizkonzerte. Hoffentlich ist das Wetter dann besser als in Tokyo im September!
Tokyo Saizensen spielt am letzten November-Wochenende in Kamaishi und Umgebung mehrere Benefizkonzerte. Hoffentlich ist das Wetter dann besser als in Tokyo im September!
Dienstag, 16. Oktober 2012
In Memoriam Kantor Schmidt
Kantor Dietrich Schmidt
geb. 4. 6. 1925 in Tirpersdorf/Vogtland
gest. 12.10. 2012 in Seeheim a.d. Bergstrasse
Bestürzt nehmen wir Kenntnis vom Heimgang von Kantor Dietrich Schmidt.
Er hat die Kantorei der Kreuzkirche 1956 gegründet, als er und seine Ehefrau als Lehrer bis 1960 an die DST entsandt wurden.
Aus seinen Erinnerungen entnehmen wir, dass es bis dahin in der Gemeinde keinen Chor gegeben hatte. Zur Einweihung der jetzigen Kreuzkirche sang die Kantorei 1959. Bei Beginn des 2. Aufenthaltes des Ehepaars Schmidt 1964 übernahm D. Schmidt wieder die Kantorei., in der inzwischen nicht mehr nur Deutsche, sondern auch sangesfreudige Freunde sich ökumenisch und international einbrachten.
Ich selbst wurde 1968 Mitglied der Kantorei und sang zum Erntedank desselben Jahres zum ersten Mal in der Kreuzkirche mit. Deutlich in Erinnerung ist mir, als im Mai 1970 der damalige deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann und Ehefrau anlässlich eines Staatsbesuchs in Japan direkt vom Flughafen Haneda in die Kreuzkirche zu einer Andacht kamen und wir “Lobe den Herren” von H. Distler sangen.
Regelmässige Proben, singen zu verschiedenen Anlässen, feiern in geselliger Runde hielten die Gruppe um Kantor Schmidt und seine Ehefrau harmonisch zusammen, und der ständige Wechsel, der einer Auslandsgemeinde eigen ist, tat dem Bestehen der Kantorei keinen Abbruch. Dank Herrn Schmidts mit Leib und Seele “Musikmachen” zum Lobe Gottes und zur Freude der Menschen wurde die Kantorei eine feste Einrichtung der Gemeinde der Kreuzkirche in Gotanda.
Musik verbindet, und das hat Kantor Schmidt auch nach seiner Heimkehr 1971 praktisch bewiesen. In Deutschland entstand der Heimatchor; immer mehr ehemalige Kantoreisänger und -sängerinnen und deren Familien treffen sich seit mehr als 40 Jahren jährlich zu Pfingsten auf der Ebernburg, gestalten den Gottesdienst und feiern “Kantorei”. Initiator und zentrale Persönlichkeit war Kantor Dietrich Schmidt. Seine Verbindung zur Kreuzkirchen-Gemeinde riss nie ab – mit dem Heimatchor reiste Kantor Schmidt 1975, 1996 und 2005 in sein Nippon.
In der Geschichte der ev. Kirche deutscher Sprache Tokyo-Yokohama wird der Name von Kantor Dietrich Schmidt seinen festen Platz behalten.
Ilse Matsui
Foto: Die Kantorei im November 1966, Kantor Schmidt vorne 3. von links
geb. 4. 6. 1925 in Tirpersdorf/Vogtland
gest. 12.10. 2012 in Seeheim a.d. Bergstrasse
Bestürzt nehmen wir Kenntnis vom Heimgang von Kantor Dietrich Schmidt.
Er hat die Kantorei der Kreuzkirche 1956 gegründet, als er und seine Ehefrau als Lehrer bis 1960 an die DST entsandt wurden.
Aus seinen Erinnerungen entnehmen wir, dass es bis dahin in der Gemeinde keinen Chor gegeben hatte. Zur Einweihung der jetzigen Kreuzkirche sang die Kantorei 1959. Bei Beginn des 2. Aufenthaltes des Ehepaars Schmidt 1964 übernahm D. Schmidt wieder die Kantorei., in der inzwischen nicht mehr nur Deutsche, sondern auch sangesfreudige Freunde sich ökumenisch und international einbrachten.
Ich selbst wurde 1968 Mitglied der Kantorei und sang zum Erntedank desselben Jahres zum ersten Mal in der Kreuzkirche mit. Deutlich in Erinnerung ist mir, als im Mai 1970 der damalige deutsche Bundespräsident Gustav Heinemann und Ehefrau anlässlich eines Staatsbesuchs in Japan direkt vom Flughafen Haneda in die Kreuzkirche zu einer Andacht kamen und wir “Lobe den Herren” von H. Distler sangen.
Regelmässige Proben, singen zu verschiedenen Anlässen, feiern in geselliger Runde hielten die Gruppe um Kantor Schmidt und seine Ehefrau harmonisch zusammen, und der ständige Wechsel, der einer Auslandsgemeinde eigen ist, tat dem Bestehen der Kantorei keinen Abbruch. Dank Herrn Schmidts mit Leib und Seele “Musikmachen” zum Lobe Gottes und zur Freude der Menschen wurde die Kantorei eine feste Einrichtung der Gemeinde der Kreuzkirche in Gotanda.
Musik verbindet, und das hat Kantor Schmidt auch nach seiner Heimkehr 1971 praktisch bewiesen. In Deutschland entstand der Heimatchor; immer mehr ehemalige Kantoreisänger und -sängerinnen und deren Familien treffen sich seit mehr als 40 Jahren jährlich zu Pfingsten auf der Ebernburg, gestalten den Gottesdienst und feiern “Kantorei”. Initiator und zentrale Persönlichkeit war Kantor Dietrich Schmidt. Seine Verbindung zur Kreuzkirchen-Gemeinde riss nie ab – mit dem Heimatchor reiste Kantor Schmidt 1975, 1996 und 2005 in sein Nippon.
In der Geschichte der ev. Kirche deutscher Sprache Tokyo-Yokohama wird der Name von Kantor Dietrich Schmidt seinen festen Platz behalten.
Ilse Matsui
Foto: Die Kantorei im November 1966, Kantor Schmidt vorne 3. von links
Sonntag, 7. Oktober 2012
Erntedank
"Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht."
Erntedankfest. Wir feiern es mit einem Abendmahlsgottesdienst um 10.30 Uhr in der Kreuzkirche!
Die Kürbissuppe und Süsskartoffelsuppe gab es hinterher - und sehr lecker ....
Sonntag, 23. September 2012
Von Aomori bis Bach im Regen
Pünktlich zur Tag-und-Nacht-Gleiche am 22. September hat sich die sommerliche Hitze verabschiedet. Was viele herbeigesehnt hatten, kam aber dann mit Donnerschlag und Sintflut-Regen - das hätte nun auch nicht sein müssen.
Wahrscheinlich wegen des schlechten Wetters haben auch nicht so viele wie erhofft unsere Einladung zum Matineekonzert angenommen.
Es spielte die Gruppe Tokyo Saizensen mit Shamisen, Wa-Taiko, E-Bass und Jazzpiano, eine spannungsvolle und ungewöhnliche Zusammensetzung. Das Repertoire reicht von eigenen Kompositionen über neu arrangierte Volkslieder bis zu einer jazzigen Bach-Adaption.
Alle, die da waren, haben es sehr genossen - und die anderen haben was verpasst!
Im November wird die Gruppe ein Wochenende in Iwate gastieren und im Rahmen unserer Tohoku-Hilfe dort vielen Menschen Freude bereiten.
Die Gruppe hat die Spenden für ihren Benefiz-Auftritt für die neue Orgel zur Verfügung gestellt.
Wahrscheinlich wegen des schlechten Wetters haben auch nicht so viele wie erhofft unsere Einladung zum Matineekonzert angenommen.
Es spielte die Gruppe Tokyo Saizensen mit Shamisen, Wa-Taiko, E-Bass und Jazzpiano, eine spannungsvolle und ungewöhnliche Zusammensetzung. Das Repertoire reicht von eigenen Kompositionen über neu arrangierte Volkslieder bis zu einer jazzigen Bach-Adaption.
Alle, die da waren, haben es sehr genossen - und die anderen haben was verpasst!
Im November wird die Gruppe ein Wochenende in Iwate gastieren und im Rahmen unserer Tohoku-Hilfe dort vielen Menschen Freude bereiten.
Die Gruppe hat die Spenden für ihren Benefiz-Auftritt für die neue Orgel zur Verfügung gestellt.
Sonntag, 9. September 2012
Anfänge
An diesem Wochenende hat unsere Gemeinde, zusammen mit den Katholiken von St. Michael, zwei Gottesdienste mit den Thema "etwas neues anfangen" gefeiert:
Am Samstag war in der Deutschen Schule Tokyo-Yokohama der Ökumenische Schulanfangs-Gottesdienst mit Pastoralreferentin Vera Markert und Pfarrerin Zieme-Diedrich.
Und am heutigen Sonntag wurde Pfarrerin Zieme-Diedrich offiziell von OKR Oppenheim in ihr Amt hier in Tokyo eingeführt.
Es war ein schöner, feierlicher Gottesdienst, und der anschliessende Sektempfang bei hochsommerlichen Temperaturen bot Gelegenheit für viele erfreuliche Begegnungen.
Auch unsere ehemalige Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto wurde heute in Versmold in ihr neues Amt eingeführt. Auch von hier aus ALLES GUTE!
Am Samstag war in der Deutschen Schule Tokyo-Yokohama der Ökumenische Schulanfangs-Gottesdienst mit Pastoralreferentin Vera Markert und Pfarrerin Zieme-Diedrich.
Und am heutigen Sonntag wurde Pfarrerin Zieme-Diedrich offiziell von OKR Oppenheim in ihr Amt hier in Tokyo eingeführt.
Es war ein schöner, feierlicher Gottesdienst, und der anschliessende Sektempfang bei hochsommerlichen Temperaturen bot Gelegenheit für viele erfreuliche Begegnungen.
Auch unsere ehemalige Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto wurde heute in Versmold in ihr neues Amt eingeführt. Auch von hier aus ALLES GUTE!
Dienstag, 21. August 2012
Hedwig Koh verstorben
Hedwig Koh
geb. Wekel
1909 - 2012
Unser ältestes Gemeindemitglied, Frau Hedwig Koh ist im Alter von 103 Jahren verstorben. Die Lebensgeschichte von Frau Koh kann man in unserer Festschrift "120 Jahre Evangelische Gemeinde Tokyo-Yokohama" auf Seite 25 nachlesen.
Ein Nachruf von Pfarrerin Elisabeth Hübler-Umemoto, die Frau Koh regelmässig besucht hat, ist hier.
Donnerstag, 2. August 2012
Ziemes sind da!
Pfarrerin Gabriele Zieme-Diedrich und Ehemann Peter Zieme sind heute angekommen und wurden von N. Boltze begrüsst.
Herzlich willkommen in Tokyo!
Herzlich willkommen in Tokyo!
Sonntag, 15. Juli 2012
Sommer 2012
Die Regenzeit geht zu Ende, die Deutschen sind in Scharen ausgeflogen zum Heimaturlaub, oder auch um endgültig Japan zu verlassen.
Wir haben Ende Juni alle im Sayonara-Gottesdienst verabschiedet, vor allem natürlich auch die Pfarrfamilie, und noch einmal zünftig zusammen gefeiert.
Nun wünschen wir allen einen guten Anfang am neuen Ort. Und freuen uns auf die neue Pfarrerin und darauf, dass das Gemeindeleben weitergeht.
In Iwate finden an diesem Wochenende einige Violinkonzerte statt, wir werden darüber berichten.
Wir haben Ende Juni alle im Sayonara-Gottesdienst verabschiedet, vor allem natürlich auch die Pfarrfamilie, und noch einmal zünftig zusammen gefeiert.
Nun wünschen wir allen einen guten Anfang am neuen Ort. Und freuen uns auf die neue Pfarrerin und darauf, dass das Gemeindeleben weitergeht.
In Iwate finden an diesem Wochenende einige Violinkonzerte statt, wir werden darüber berichten.
Freitag, 25. Mai 2012
Konfirmation 2012
Der grosse Tag für unsere Konfirmandinnen und Konfirmanden!
Bei wunderbarem Wetter, nicht zu heiss und nicht zu kühl, war die Kirche mit gut 150% ihrer Kapazität proppenvoll. Die Kantorei hat den festlichen Gottesdienst musikalisch begleitet.
Nach dem Gottesdienst feierte die ganze Gemeinde mit den Konfirmierten vor der Kirche an festlich gedeckten Tischen mit köstlichem warmem Essen, Salaten vom Buffet und Kaffee und Kuchen.
Ein gelungenes Fest!
C.M.
Bei wunderbarem Wetter, nicht zu heiss und nicht zu kühl, war die Kirche mit gut 150% ihrer Kapazität proppenvoll. Die Kantorei hat den festlichen Gottesdienst musikalisch begleitet.
Nach dem Gottesdienst feierte die ganze Gemeinde mit den Konfirmierten vor der Kirche an festlich gedeckten Tischen mit köstlichem warmem Essen, Salaten vom Buffet und Kaffee und Kuchen.
Ein gelungenes Fest!
C.M.
Dienstag, 15. Mai 2012
Neue "Kibo-no-Ie"-Seite
Herr Bodo Walther von der Braunschweigischen Landeskirche war zu Besuch in Tokyo. Er berichtete von seiner Arbeit im Kibo no Ie in Osaka. Mit seiner Hilfe haben wir auch unsere Kibo-no-Ie- Seite
auf unserer Homepage renoviert. Bitte schauen Sie mal rein!
auf unserer Homepage renoviert. Bitte schauen Sie mal rein!
Sonntag, 13. Mai 2012
Mai 2012
Am 1. und 2. Mai war Pfarrerin Hübler-Umemoto mit Mann und Sohn auf "Abschiedstour" in Iwate. Den Bericht finden Sie auf unserer Homepage. Übrigens: falls Sie diese Seite schon früher besucht haben, müssen Sie sie evtl. "neu laden", um den neuen Bericht anzuzeigen.
Derweil laufen in der Kreuzkirche die Vorbereitungen auf die Konfirmation auf Hochtouren. Wir werden berichten...
Heute gab es schon mal eine Taufe (der kleine Mann in der Mitte).
Derweil laufen in der Kreuzkirche die Vorbereitungen auf die Konfirmation auf Hochtouren. Wir werden berichten...
Heute gab es schon mal eine Taufe (der kleine Mann in der Mitte).
Freitag, 20. April 2012
Ostern 2012
Auch in diesem Jahr fand vor dem Ostergottesdienst das gemeinsame Osterfrühstück statt, zum ersten Mal im neuen Gemeindehaus, bzw. davor - bei herrlichem Wetter.
Der Tisch war reich gedeckt.
Nach dem Gottesdienst durften die Kinder nach Ostereiern suchen.
Weitere Bilder sind im Fotoalbum auf unserer Homepage.
Eine Gruppe von Gemeindemitgliedern war an Ostern in Iwate. Der Bericht ist auf unserer Homepage unter "Aktuelle Berichte" zu finden.
Dort wird von nun an auch der Fortgang unseres Spendenprojekts dargestellt. Diesen Blog werden wir weiterhin nutzen, um über Aktivitäten in unserer Gemeinde zu berichten. Das Leben in Japan ist und bleibt spannend...
Bitte halten Sie uns weiterhin die Treue!
Samstag, 28. Januar 2012
Keine Gleichbehandlung im Unglück
In den vier Tagen vom 17. bis zum 20. Januar fuhren Pfarrer Ohta, Hibiki Umemoto (Pfarrerssohn der Kreuzkirche) und ich wie ein Wirbelwind von Morioka über Miyako (17. Januar) nach Otsuchi und Kamaishi, inklusive Fischerbucht (18. Januar), weiter nach Ofunato und über Rikuzen-Takata und Kesennuma nach Senmaya (19. Januar) und schließlich zu einem Besuch in der Kirche Tsuchisawa (20. Januar) – gut 500 Kilometer Fahrt an den beiden Tagen in der Mitte auf glücklicherweise kaum verschneiten Straßen.
Zweck der Fahrt war es, Grüße zum neuen Jahr zu überbringen und ein Zeichen zu setzen, indem wir „öffentlichkeitswirksam“ auch in einem kalten Wintermonat aus Tokio gekommen sind. Und in Begleitung von Pfarrer Ohta ging es schwerpunktmäßig darum, den Kontakt der Kreuzkirche in Tokio zu den Kirchengemeinden in Iwate zu vertiefen.
Deshalb galt unser erster Besuch in Morioka Bischof Ohara von der Diözese Ôu, die die Präfekturen Aomori, Akita und Iwate umfasst und in der damit die vier Gemeinden aus unserem Spendenaufruf liegen. Wir konnten uns einen Überblick über die bisherigen und geplanten Aktivitäten der Diözese und den Stand der Dinge in den jeweiligen Gemeinden verschaffen und auch von unseren Tätigkeiten berichten. Die Priorität für die Diözese wird in den kommenden Monaten und Jahren der Wiederaufbau der zerstörten Kirchen und die seelsorgerische Betreuung der Gemeinden sein.
Bei den folgenden Besuchen und Gesprächen wurden wir durchweg mit echter und großer Wiedersehensfreude aufgenommen. Einen schönen Lichtblick gab es in Otsuchi. Nach dem Besuch des Osanago-Kindergartens, wo wir nur kurz bleiben konnten, weil die Kinder gerade von einer Magiertruppe aus Tokio „verzaubert” wurden, fuhren wir weiter zum Midori-Kindergarten. Diesem war zum Ende Dezember ihr Ausweichquartier im Gästehaus des Otsuchi-Gymnasiums gekündigt worden, in dem sie mehr als ein halbes Jahr auf engstem Raum die Kinder betreut hatten. Über Monate hinweg war nicht klar, wohin sie ausweichen und wie sie sich finanzieren könnten.
Nun hat der Kindergarten zehn Minuten Autofahrt ins Landesinnere ein Grundstück gefunden, auf dem in Fertigbauweise ein einstöckiges Gebäude mit 270 Quadratmeter Fläche errichtet wurde und am 24. Januar in Betrieb geht. Die Kosten für den Bau und die Ausstattung hat Unicef übernommen und beim Umzug und Aufräumen haben Freiwillige vom „Tohno Magokoro Net” geholfen, womit dem Leiter Eikoh Sasaki ein gewaltiger finanzieller Stein vom Herzen gefallen ist. Er wird zwar weiterhin jeden Tag über 200 Kilometer mit dem Kindergartenbus fahren, um seine „Kundschaft” einzusammeln und wieder zuhause abzuliefern, und er hat immer noch die Belastung durch das Altdarlehen und die Ungewissheit über den endgültigen Wiederaufbau. Im neuen Provisorium kann er zwei Jahre bleiben und hat damit spürbar wieder Luft zum Atmen. Zum ersten Mal, seit ich ihn im Juli kennengelernt habe, wirkte er entspannt und fröhlich.
Bedrückend war andererseits zu sehen, wie sich die Schere zwischen den betroffenen Ortschaften immer weiter öffnet. Ich halte das für ein Produkt aus mindestens drei Faktoren: dem Ausmaß der Zerstörungen durch den Tsunami, ab wann und wie gut die örtlichen Verwaltungen funktionieren und wieviel Unterstützung bei den ersten Räumarbeiten durch Selbstverteidigungsstreitkräfte und Freiwillige erfahren wurde.
In Miyako ist ein kleinerer Ortsteil vom Tsunami zerstört worden, weite Teile der Stadt wurden „nur” überflutet, aber nicht mit Wucht von der Welle getroffen. Die Aufräumarbeiten dort beschränken sich auf ein gründliches Putzen, um den Schlamm zu entfernen, nur wenige Häuser mussten abgerissen werden. Die Stadt macht den Eindruck, sich nun aus eigener Kraft wieder hochrappeln zu können.
Ganz anders sieht es in Otsuchi aus. Die Stadt hat die Form einer Teufelsmaske mit zwei Hörnern, die ins Landesinnere reichen; das Gesicht ist das Hafengebiet und Stadtzentrum, welches komplett vom Tsunami und dem danach ausgebrochenen Feuer durch explodierende Propangasflaschen zerstört wurde. Hier sind der meiste Schutt und die Autowracks beseitigt, übrig geblieben sind die Betonfundamente und es ist keinerlei Leben bis auf einige Räumfahrzeuge zu sehen. Der sichtbare Fortschritt der letzten Monate beschränkt sich auf das Aufstellen neuer Ampeln an den größeren Kreuzungen, die aber fast nur Durchgangsverkehr regeln. Seit Anfang Dezember hat auch ein großer Supermarkt wieder aufgemacht, so dass sich die Einkaufssituation für die Bewohner der „Hörner” sehr entspannt hat, denn bis dahin gab es nur einen Convenience Store und ein mobiles Postamt, für alles andere musste man ins benachbarte Kamaishi fahren.
Dort in Kamaishi wurde im späten Dezember der offizielle Wiederaufbauplan der Stadt beschlossen und veröffentlicht, ist aber bei den einzelnen Bewohnern scheinbar mehr oder weniger als Gerücht und ganz verschiedenen Inhalts angekommen. Jeder „weiß” ein bisschen anders, dass bis zu dieser (oder jener) Straße stadteinwärts vom Hafen ein (oder zwei) Meter der Grund angehoben werden muss, um neu zu bauen (oder wohnen) zu dürfen, und dass auch die Straßen angehoben werden (oder nicht). Aber das entscheidende Signal war offenbar nicht, wie es konkret weitergeht, sondern dass es weitergeht und die Stadt und ihr Hafenzentrum leben wird. Also kehren die Menschen zurück, bessern noch erhaltene Häuser aus und eröffnen ihre Läden und Restaurants wieder.
Die Fischerei blickt noch mit viel Ungewissheit in die Zukunft. In die Buchten wurden einige kleine, einfach und schnell herzustellende Boote angeliefert. Damit kann die eigentliche Arbeit, also die Zucht von Wakame-Seetang, Austern und Jakobsmuscheln (Hotate) zwar nicht betrieben werden, aber die Fischer konnten in Küstennähe Abalone (Awabi) fangen – weniger als in den Vorjahren, aber zu einem besseren Kilopreis, so dass ihnen finanziell für dieses Jahr etwas geholfen ist. Die Fertigung der eigentlich benötigten, größeren Boote wird mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen, die Genossenschaften haben die Reihenfolge der Verteilung schon festgelegt. Bis dahin machen die Fischer Boat-Sharing, allerdings mit wechselndem Enthusiasmus. Die Genossenschaft kann oder will die Öfen nicht ersetzen, in denen geerntete Wakame sofort gekocht werden muss. Diese sind bisher nicht im Zusatzhaushalt vom Staat berücksichtigt, müssten also aus eigener Tasche finanziert werden, ebenso Kühlschränke und andere Gerätschaften – die Genossenschaften hoffen, dass so etwas vielleicht doch noch im Haushalt berücksichtigt wird, verpassen damit aber die Ernte eines Jahres.
Weiter südlich liegt Ofunato, welches sich an eine lange, landeinwärts gelegen und vermeintlich geschützte Bucht schmiegt. Der Tsunami hat auf weite Strecke die Stadt verwüstet, der Wiederaufbau beginnt nur sehr langsam. So hat beispielsweise die Katholische Kirche, die selbst sicher auf einem Hügel liegt, das benachbarte Grundstück eines Gemeindemitglieds, dem das Haus weggespült wurde, angekauft und errichtet dort eine Basisstation für die Arbeit der Caritas. Später wird das Gebäude als neues Gemeindezentrum fungieren. Eines der akutesten Probleme ist, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht funktionieren – die Bahnlinie ist zerstört und Busse fahren immer noch nur eingeschränkt, was gerade älteren Menschen tagtäglich große Schwierigkeiten bereitet, da sie die weiten Strecken innerhalb der Stadt und in die Umgebung zum Einkaufen nicht bewältigen können.
Am Südzipfel der Präfektur liegt Rikuzen-Takata, das komplett vom Tsunami ausradiert wurde. Nur die Hüllen vereinzelter großer Stahlbetonbauten haben den Wassermassen standgehalten, auf weiter ebener Fläche bis zu über drei Kilometer zu den Bergen steht sonst nichts mehr und das Meer hat sich nach Absenkung des Bodens bis zu einem Kilometer landeinwärts gefressen. Die ursprüngliche Stadt ist nur durch das Navigationssystem im Auto zu erahnen: die Fundamente aller Häuser sind geschliffen, der Schutt sortiert, zerkleinert und abtransportiert. Man steht auf einem frisch umgepflügten Feld, das jederzeit neu bebaut werden könnte.
Gleich nebenan in der Präfektur Miyagi liegt Kesennuma, welches ebenfalls auf weiter Fläche mit voller Wucht vom Tsunami getroffen wurde. Viele Räumfahrzeuge sind zu sehen, aber im Hafengebiet ist noch kaum etwas geschehen, sie sind gefühlt so weit wie Kamaishi im Spätsommer war. An vielen Stellen ist noch Holzschutt zu sehen, der eigentlich leichter als Beton abzutragen wäre, und auf vielen Grundstücken stehen noch landeinwärts gespülte Boote, darunter auch ein großes Frachtschiff. Der Nordteil der Stadt blieb vom Tsunami verschont und funktioniert normal, macht aber einen sehr überalterten Eindruck.
Und landeinwärts hinter den schützenden Bergen ziehen sich die Ausbesserungsarbeiten an den Straßen hin. Viele, oftmals kleine Stellen müssen repariert werden, aber die Bauunternehmen bewerben sich nur zögerlich auf die Projekte, da sie zu sehr Stückwerk sind um lukrativ zu sein. Über das Ausmaß der Bebenschäden an Gebäuden wird wenig berichtet, da kämpft jeder seinen eigenen Kampf, unter anderem die Kirche in Senmaya, die nur noch auf eigene Gefahr betreten werden kann und daher ihre Gottesdienste in einem Ausweichquartier abhält. Sie hat ein Grundstück außerhalb der Stadt gekauft und bemüht sich nun um die Finanzierung des Neubaus.
Ich ziehe aus den Eindrücken dieser Fahrt das Fazit, dass wir in unserer Arbeit nicht darauf aus sein können, die jeweiligen Ortschaften, Kirchen, Einrichtungen und Kontaktpersonen in anscheinender Fairness gleichmäßig zu berücksichtigen, sondern auch weiterhin je nach Ausmaß der Zerstörungen, Fortgang des Wiederaufbaus und der anderweitig erfahrenen Unterstützung durch Behörden und andere Helfer individuell zuschneidern sollten.
Dieser Ansatz wird übrigens vor Ort unterstützt, wie aus vielen Gesprächen klar wird. So appelliert beispielsweise die Leiterin des Osanago-Kindergartens in Otsuchi unermüdlich, den weitaus schlimmer betroffenen Midori-Kindergarten im gleichen Ort nach Kräften zu unterstützen, obwohl sie geschäftlich in direkter Konkurrenz stehen. Und Bischof Ohara sagt ausdrücklich, dass wir hoffentlich die Bedürfnisse aller vier Gemeinden mit gleicher Sorgfalt bedenken würden, eben diese Bedürfnisse aber zu divers seien, um die gleichen Hilfen anzubieten.
Und eine Illusion, der wir uns auf gar keinen Fall hingeben dürfen, ist, dass Einrichtungen wie der Midori-Kindergarten das Schlimmste überstanden hätten. Zwar haben sie viel Hilfe erfahren und nun eine bessere Notlösung gefunden als bis Dezember, aber es ist eben immer noch eine Notlösung, ein Provisorium, in dem sie nicht langfristig bleiben können. Parallel zum Alltag werden sie also die nächsten zwei Jahre viel Energie daran verwenden, den wirklichen Neustart vorzubereiten, und das wird mit enormen Kosten und Unsicherheit verbunden sein. Ganz ähnlich geht es dem Kamaishi-Hort, die ihr Ausweichquartier zwar sehr schnell beziehen konnten, aber eben auch bis Frühjahr 2014 dort ausziehen und neu bauen müssen. Auch die Arbeit der Kreuzkirche in Iwate ist also noch lange nicht abgeschlossen.
Jesper Weber
Zweck der Fahrt war es, Grüße zum neuen Jahr zu überbringen und ein Zeichen zu setzen, indem wir „öffentlichkeitswirksam“ auch in einem kalten Wintermonat aus Tokio gekommen sind. Und in Begleitung von Pfarrer Ohta ging es schwerpunktmäßig darum, den Kontakt der Kreuzkirche in Tokio zu den Kirchengemeinden in Iwate zu vertiefen.
Deshalb galt unser erster Besuch in Morioka Bischof Ohara von der Diözese Ôu, die die Präfekturen Aomori, Akita und Iwate umfasst und in der damit die vier Gemeinden aus unserem Spendenaufruf liegen. Wir konnten uns einen Überblick über die bisherigen und geplanten Aktivitäten der Diözese und den Stand der Dinge in den jeweiligen Gemeinden verschaffen und auch von unseren Tätigkeiten berichten. Die Priorität für die Diözese wird in den kommenden Monaten und Jahren der Wiederaufbau der zerstörten Kirchen und die seelsorgerische Betreuung der Gemeinden sein.
Bei den folgenden Besuchen und Gesprächen wurden wir durchweg mit echter und großer Wiedersehensfreude aufgenommen. Einen schönen Lichtblick gab es in Otsuchi. Nach dem Besuch des Osanago-Kindergartens, wo wir nur kurz bleiben konnten, weil die Kinder gerade von einer Magiertruppe aus Tokio „verzaubert” wurden, fuhren wir weiter zum Midori-Kindergarten. Diesem war zum Ende Dezember ihr Ausweichquartier im Gästehaus des Otsuchi-Gymnasiums gekündigt worden, in dem sie mehr als ein halbes Jahr auf engstem Raum die Kinder betreut hatten. Über Monate hinweg war nicht klar, wohin sie ausweichen und wie sie sich finanzieren könnten.
Nun hat der Kindergarten zehn Minuten Autofahrt ins Landesinnere ein Grundstück gefunden, auf dem in Fertigbauweise ein einstöckiges Gebäude mit 270 Quadratmeter Fläche errichtet wurde und am 24. Januar in Betrieb geht. Die Kosten für den Bau und die Ausstattung hat Unicef übernommen und beim Umzug und Aufräumen haben Freiwillige vom „Tohno Magokoro Net” geholfen, womit dem Leiter Eikoh Sasaki ein gewaltiger finanzieller Stein vom Herzen gefallen ist. Er wird zwar weiterhin jeden Tag über 200 Kilometer mit dem Kindergartenbus fahren, um seine „Kundschaft” einzusammeln und wieder zuhause abzuliefern, und er hat immer noch die Belastung durch das Altdarlehen und die Ungewissheit über den endgültigen Wiederaufbau. Im neuen Provisorium kann er zwei Jahre bleiben und hat damit spürbar wieder Luft zum Atmen. Zum ersten Mal, seit ich ihn im Juli kennengelernt habe, wirkte er entspannt und fröhlich.
Bedrückend war andererseits zu sehen, wie sich die Schere zwischen den betroffenen Ortschaften immer weiter öffnet. Ich halte das für ein Produkt aus mindestens drei Faktoren: dem Ausmaß der Zerstörungen durch den Tsunami, ab wann und wie gut die örtlichen Verwaltungen funktionieren und wieviel Unterstützung bei den ersten Räumarbeiten durch Selbstverteidigungsstreitkräfte und Freiwillige erfahren wurde.
In Miyako ist ein kleinerer Ortsteil vom Tsunami zerstört worden, weite Teile der Stadt wurden „nur” überflutet, aber nicht mit Wucht von der Welle getroffen. Die Aufräumarbeiten dort beschränken sich auf ein gründliches Putzen, um den Schlamm zu entfernen, nur wenige Häuser mussten abgerissen werden. Die Stadt macht den Eindruck, sich nun aus eigener Kraft wieder hochrappeln zu können.
Ganz anders sieht es in Otsuchi aus. Die Stadt hat die Form einer Teufelsmaske mit zwei Hörnern, die ins Landesinnere reichen; das Gesicht ist das Hafengebiet und Stadtzentrum, welches komplett vom Tsunami und dem danach ausgebrochenen Feuer durch explodierende Propangasflaschen zerstört wurde. Hier sind der meiste Schutt und die Autowracks beseitigt, übrig geblieben sind die Betonfundamente und es ist keinerlei Leben bis auf einige Räumfahrzeuge zu sehen. Der sichtbare Fortschritt der letzten Monate beschränkt sich auf das Aufstellen neuer Ampeln an den größeren Kreuzungen, die aber fast nur Durchgangsverkehr regeln. Seit Anfang Dezember hat auch ein großer Supermarkt wieder aufgemacht, so dass sich die Einkaufssituation für die Bewohner der „Hörner” sehr entspannt hat, denn bis dahin gab es nur einen Convenience Store und ein mobiles Postamt, für alles andere musste man ins benachbarte Kamaishi fahren.
Dort in Kamaishi wurde im späten Dezember der offizielle Wiederaufbauplan der Stadt beschlossen und veröffentlicht, ist aber bei den einzelnen Bewohnern scheinbar mehr oder weniger als Gerücht und ganz verschiedenen Inhalts angekommen. Jeder „weiß” ein bisschen anders, dass bis zu dieser (oder jener) Straße stadteinwärts vom Hafen ein (oder zwei) Meter der Grund angehoben werden muss, um neu zu bauen (oder wohnen) zu dürfen, und dass auch die Straßen angehoben werden (oder nicht). Aber das entscheidende Signal war offenbar nicht, wie es konkret weitergeht, sondern dass es weitergeht und die Stadt und ihr Hafenzentrum leben wird. Also kehren die Menschen zurück, bessern noch erhaltene Häuser aus und eröffnen ihre Läden und Restaurants wieder.
Die Fischerei blickt noch mit viel Ungewissheit in die Zukunft. In die Buchten wurden einige kleine, einfach und schnell herzustellende Boote angeliefert. Damit kann die eigentliche Arbeit, also die Zucht von Wakame-Seetang, Austern und Jakobsmuscheln (Hotate) zwar nicht betrieben werden, aber die Fischer konnten in Küstennähe Abalone (Awabi) fangen – weniger als in den Vorjahren, aber zu einem besseren Kilopreis, so dass ihnen finanziell für dieses Jahr etwas geholfen ist. Die Fertigung der eigentlich benötigten, größeren Boote wird mindestens zwei Jahre in Anspruch nehmen, die Genossenschaften haben die Reihenfolge der Verteilung schon festgelegt. Bis dahin machen die Fischer Boat-Sharing, allerdings mit wechselndem Enthusiasmus. Die Genossenschaft kann oder will die Öfen nicht ersetzen, in denen geerntete Wakame sofort gekocht werden muss. Diese sind bisher nicht im Zusatzhaushalt vom Staat berücksichtigt, müssten also aus eigener Tasche finanziert werden, ebenso Kühlschränke und andere Gerätschaften – die Genossenschaften hoffen, dass so etwas vielleicht doch noch im Haushalt berücksichtigt wird, verpassen damit aber die Ernte eines Jahres.
Weiter südlich liegt Ofunato, welches sich an eine lange, landeinwärts gelegen und vermeintlich geschützte Bucht schmiegt. Der Tsunami hat auf weite Strecke die Stadt verwüstet, der Wiederaufbau beginnt nur sehr langsam. So hat beispielsweise die Katholische Kirche, die selbst sicher auf einem Hügel liegt, das benachbarte Grundstück eines Gemeindemitglieds, dem das Haus weggespült wurde, angekauft und errichtet dort eine Basisstation für die Arbeit der Caritas. Später wird das Gebäude als neues Gemeindezentrum fungieren. Eines der akutesten Probleme ist, dass die öffentlichen Verkehrsmittel nicht funktionieren – die Bahnlinie ist zerstört und Busse fahren immer noch nur eingeschränkt, was gerade älteren Menschen tagtäglich große Schwierigkeiten bereitet, da sie die weiten Strecken innerhalb der Stadt und in die Umgebung zum Einkaufen nicht bewältigen können.
Am Südzipfel der Präfektur liegt Rikuzen-Takata, das komplett vom Tsunami ausradiert wurde. Nur die Hüllen vereinzelter großer Stahlbetonbauten haben den Wassermassen standgehalten, auf weiter ebener Fläche bis zu über drei Kilometer zu den Bergen steht sonst nichts mehr und das Meer hat sich nach Absenkung des Bodens bis zu einem Kilometer landeinwärts gefressen. Die ursprüngliche Stadt ist nur durch das Navigationssystem im Auto zu erahnen: die Fundamente aller Häuser sind geschliffen, der Schutt sortiert, zerkleinert und abtransportiert. Man steht auf einem frisch umgepflügten Feld, das jederzeit neu bebaut werden könnte.
Gleich nebenan in der Präfektur Miyagi liegt Kesennuma, welches ebenfalls auf weiter Fläche mit voller Wucht vom Tsunami getroffen wurde. Viele Räumfahrzeuge sind zu sehen, aber im Hafengebiet ist noch kaum etwas geschehen, sie sind gefühlt so weit wie Kamaishi im Spätsommer war. An vielen Stellen ist noch Holzschutt zu sehen, der eigentlich leichter als Beton abzutragen wäre, und auf vielen Grundstücken stehen noch landeinwärts gespülte Boote, darunter auch ein großes Frachtschiff. Der Nordteil der Stadt blieb vom Tsunami verschont und funktioniert normal, macht aber einen sehr überalterten Eindruck.
Und landeinwärts hinter den schützenden Bergen ziehen sich die Ausbesserungsarbeiten an den Straßen hin. Viele, oftmals kleine Stellen müssen repariert werden, aber die Bauunternehmen bewerben sich nur zögerlich auf die Projekte, da sie zu sehr Stückwerk sind um lukrativ zu sein. Über das Ausmaß der Bebenschäden an Gebäuden wird wenig berichtet, da kämpft jeder seinen eigenen Kampf, unter anderem die Kirche in Senmaya, die nur noch auf eigene Gefahr betreten werden kann und daher ihre Gottesdienste in einem Ausweichquartier abhält. Sie hat ein Grundstück außerhalb der Stadt gekauft und bemüht sich nun um die Finanzierung des Neubaus.
Ich ziehe aus den Eindrücken dieser Fahrt das Fazit, dass wir in unserer Arbeit nicht darauf aus sein können, die jeweiligen Ortschaften, Kirchen, Einrichtungen und Kontaktpersonen in anscheinender Fairness gleichmäßig zu berücksichtigen, sondern auch weiterhin je nach Ausmaß der Zerstörungen, Fortgang des Wiederaufbaus und der anderweitig erfahrenen Unterstützung durch Behörden und andere Helfer individuell zuschneidern sollten.
Dieser Ansatz wird übrigens vor Ort unterstützt, wie aus vielen Gesprächen klar wird. So appelliert beispielsweise die Leiterin des Osanago-Kindergartens in Otsuchi unermüdlich, den weitaus schlimmer betroffenen Midori-Kindergarten im gleichen Ort nach Kräften zu unterstützen, obwohl sie geschäftlich in direkter Konkurrenz stehen. Und Bischof Ohara sagt ausdrücklich, dass wir hoffentlich die Bedürfnisse aller vier Gemeinden mit gleicher Sorgfalt bedenken würden, eben diese Bedürfnisse aber zu divers seien, um die gleichen Hilfen anzubieten.
Und eine Illusion, der wir uns auf gar keinen Fall hingeben dürfen, ist, dass Einrichtungen wie der Midori-Kindergarten das Schlimmste überstanden hätten. Zwar haben sie viel Hilfe erfahren und nun eine bessere Notlösung gefunden als bis Dezember, aber es ist eben immer noch eine Notlösung, ein Provisorium, in dem sie nicht langfristig bleiben können. Parallel zum Alltag werden sie also die nächsten zwei Jahre viel Energie daran verwenden, den wirklichen Neustart vorzubereiten, und das wird mit enormen Kosten und Unsicherheit verbunden sein. Ganz ähnlich geht es dem Kamaishi-Hort, die ihr Ausweichquartier zwar sehr schnell beziehen konnten, aber eben auch bis Frühjahr 2014 dort ausziehen und neu bauen müssen. Auch die Arbeit der Kreuzkirche in Iwate ist also noch lange nicht abgeschlossen.
Jesper Weber
Dienstag, 10. Januar 2012
Alles verboten
von Jesper Weber
Man lernt nie aus. Nach nunmehr sechs Fahrten ins Tsunami-Gebiet in der Präfektur Iwate hatte ich mir eingebildet, mit der Zerstörung und der Trauer infolge der Naturkatastrophe umgehen zu können.
Und dann gibt es doch immer wieder Eindrücke und Berichte, die mir einfach die Kehle zuschnüren.
Am Montag, den 9. Januar – einem Feiertag in Japan – veranstaltete der Kita-Shiku, also der „Bezirk Nord“ des Kirchenverbands Tokio, einen Tag der offenen Tür. Zu diesem Bezirk gehört auch die Kirche von Pfarrer Ohta, der uns in Iwate viele Kontakte verschafft hat. Zwei Gäste waren aus dem Nordosten eingeladen worden, um einen Bericht von der Lage vor Ort zu geben.
Am Vormittag sprach Frau Maruki, mit der auch wir seit Mai in regelmäßigem Kontakt stehen. Frau Maruki ist Mitglied im Vorstand und Organistin der Shinsei-Kirche in Kamaishi, die wir nach unseren Kräften beim Wiederaufbau unterstützen wollen. Ihr Ehemann ist Sozialreferent der Stadt.
Für viele im Publikum, die noch nicht (so makaber es klingen mag) das Glück hatten, selbst vor Ort an der Wiederauferstehung der Stadt teilnehmen zu dürfen, war es offenbar der erste Bericht aus erster Hand, der daher mit entsprechend starker Erschütterung aufgenommen wurde. Mir war die Geschichte vom Überleben der Marukis aus den ausgiebigen persönlichen Gesprächen der letzten Monate geläufig, daher blieb bei mir etwas anderes hängen.
Bei einer kirchlichen Veranstaltung zu einer Katastrophe dieses Ausmaßes wird selbstverständlich auch die Frage gestellt, wie Gott so etwas zulassen könne. Frau Maruki zitierte die Erklärung eines katholischen Priesters, der als Freiwilliger in Kamaishi geholfen hatte (wer möchte, kann dabei „Gott“ durch „Natur“ ersetzen).
Im japanischen gibt es zwei Wörter, die auf Deutsch mit „Erdbeben“ übersetzt werden, ji-shin und shin-sai. Das erste setzt sich aus den Schriftzeichen für Erde (ji) und Schwanken (shin) zusammen, das zweite ebenfalls aus Schwanken (shin) und Unheil bzw. Schaden (sai) zusammen. Jishin ist also das Beben selbst, während Shinsai ein wenig holperig als „Bebenschaden” übersetzt werden kann.
Das Beben selbst (jishin) ist kein Menschenwerk und mag als von Gott gebracht betrachtet werden. Aber Gott kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass Menschen in ihrer Hybris sich auf Deiche und Bollwerke verlassen haben, die sie selbst aber nicht hoch und stark genug gebaut hatten, dass Menschen deshalb trotz der Warnungen über die öffentlichen Lautsprechersysteme nicht rechtzeitig die Flucht begonnen haben, sondern Häuser, Autos und andere Besitztümer sichern wollten, und dass Menschen ohne eine realistische Einschätzung der Risiken ein Atomkraftwerk direkt an die Küste eines Erdbebengebiets gebaut haben.
Da ist was dran.
Und so war auch eine Brücke zum zweiten Vortrag am Nachmittag geschlagen. Frau Endo leitet den kirchlichen Hort „Sei-ai“ im Stadtteil Haramachi von Minami-Soma in Fukushima, 25,6 Kilometer nördlich des havarierten AKW. Der Name „Minami-Soma“ dürfte seit März ausnahmslos allen Japanern aus den Nachrichten ein Begriff sein. Die Auswirkungen der AKW-Havarie allerdings sind von auswärts kaum intuitiv begreifbar.
Nachdem die Erde sich am 11. März ein wenig beruhigt hatte, versammelten die Erzieherinnen die Kinder auf dem Spielplatz, wo sie sie vor herabstürzenden Gegenständen sicherer wussten als im Gebäude. Dort wurden sie dann nach und nach von den Eltern abgeholt. Gefährdung durch Tsunami bestand für den Hort nicht, da er weit genug landeinwärts liegt. An der Küste traf die Welle um 15:15 Uhr ein, 29 Minuten nach dem Beben.
Schon um 21:23 Uhr wurde der Befehl zur Evakuierung im Radius von drei Kilometern vom AKW gegeben, um 5:44 Uhr am nächsten Morgen wurde die Zone auf zehn Kilometer ausgeweitet, am selben Abend um 18:25 Uhr (etwa drei Stunden nach der ersten Explosion im AKW) auf 20 Kilometer. Am 15. März ab 11:00 Uhr vormittags (dem Tag nach der zweiten Explosion) wurde allen Bewohnern im Gürtel von 20 bis 30 Kilometern vom AKW befohlen, ihre Häuser nicht mehr zu verlassen, so dass am selben Tag der Hort, der in diesem Gürtel liegt, auf unbefristete Zeit – bis zur Stabilisierung der Lage im AKW – geschlossen wurde.
Das Ausgangsverbot wurde erst am 22. April aufgehoben, als die Zone bis 20 Kilometer zum absoluten Sperrgebiet erklärt wurde und der Gürtel von 20 bis 30 Kilometern auf Evakuierungsvoralarm gesetzt wurde. In diesem Gürtel sollten sich ab dem Tag keine Kinder, Schwangere, Pflegebedürftige oder stationär behandelte Patienten mehr aufhalten, alle Kindertagesstätten und Schulen wurden zwangsgeschlossen. Da aber das Ausgangsverbot aufgehoben worden war, kamen seitdem einige Familien aus ihren Evakuierungsstätten in ihre Häuser zurück, so dass die Erzieherinnen verstärkt Hausbesuche machten, um sich nach dem Befinden der Kinder zu erkunden.
Was sie sahen, war erschreckend. Apathische Kinder, die sich seit Tagen nur mit Fernsehen und Videospielen beschäftigen konnten. Lethargische Eltern, die den ganzen Tag im Schlafanzug rumliefen und vor Stress kurz vorm Zusammenbruch standen. Mangelhafte Ernährung durch Instantsuppen, weil keine Lebensmittel in die Läden der Umgebung geliefert wurden und es kein Benzin gab, um weiter weg einkaufen zu fahren – die Fuhrunternehmen und Tankstellenbetreiber weigerten sich, in das Gebiet zu fahren, und auch Umzugsfirmen fanden sich lange nicht bereit, die Möbel des neuen Pfarrers nach Minami-Soma zu bringen. Erwachsene, die keinerlei Motivation zum Arbeiten verspüren, weil sie durch die Kompensationszahlungen der Stromfirma erstmal über die Runden kommen – was auch heute, zehn Monate nach Beginn der Havarie, noch bei vielen der Fall ist; die Pachinko-Spielhöllen haben Hochkonjunktur. Sie finden sich damit ab, dass das Leben bis auf den Strahlenmesser um den Hals auf eine neue Weise normal und nunmehr kostenlos ist.
Sogar Frau Endo, die sich als ausgesprochene Gegnerin von Atomkraft vorstellt, erklärt, dass momentan niemand auch nur den Nerv habe, die Stromfirma TEPCO an den Pranger zu stellen. Minami-Soma ist für sie Heimat, und sie hat genug damit zu tun, ihr Leben dort weiter zu führen. Was als kleine Extra-Gemeinheit noch das i-Tüpfelchen draufsetzt, ist die Tatsache, dass Minami-Soma wie die ganze Präfektur Fukushima garnicht von TEPCO, also der „Tokyo Electric Power Company”, mit Strom versorgt wird, sondern von Tohoku Electric. Sie haben anderer Leute Dreck vor der Tür.
Der Hort wollte jedenfalls ein wenig Abhilfe schaffen und hat ab dem 25. April bis Ende Juli heimlich wieder die Pforten geöffnet, um den Kindern etwas Platz zum Herumtollen und den Eltern einen Ort zum Gespräch zu geben. Heimlich deshalb, weil die Stadtverwaltung in typisch-bürokratischer Manier daran festhielt, dass der Betrieb von Kindertagesstätten in der Voralarmzone nicht gestattet sei. Die Gas- und Wasserversorgung wurde erst nach mehreren Behördengängen unter der Hand wieder autorisiert, weil der Sachbearbeiter ein Einsehen hatte, dass solch ein Ort in der Stadt notwendig sei. Der Pfarrer hatte schließlich durchgesetzt, dass der Ort als Kirche betrieben würde, damit war das notwendige Schlupfloch gefunden.
Am 6. Mai wurde dann parallel dazu außerhalb des 30-Kilometer Gürtels ein Behelfshort mit drei anderen, privaten Kindergärten eröffnet. Das gestaltete sich schwierig, weil der geteilte Raum in einem buddhistischen Tempel lag, so dass der christliche Erziehungsansatz auf Ablehnung stieß. Außerdem öffnete sich die Tür direkt auf eine recht stark befahrene Straße. Von ursprünglich 100 betreuten Kindern kamen da gerade mal vier zurück. Obwohl nach offiziellen Zahlen die Bevölkerung von Minami-Soma nur um unter zehn Prozent auf circa 66000 Einwohner zurück gegangen sein sollte, war der Ort eine Geisterstadt. Inoffizielle Schätzungen beliefen sich auf etwas über 3000 Einwohner, der Rest hatte sich einfach in der Eile nicht abgemeldet. Am 27. Juni konnte der Hort in ein neues Quartier ziehen, ein eigener Raum mit einem Spielplatz davor. Die 15 Kinder, die wieder angemeldet wurden, durften allerdings erstmal nur bei geschlossenen Türen und Fenstern spielen.
Große Probleme bereitet der Einkauf von Lebensmitteln für das Mittagessen. Gemüse wurde dem Hort durch einen kleinen Laden am alten Standort angeliefert, der aber in Folge der Katastrophe schließen musste. Bei anderen Gemüseläden sind sie nicht sicher, ob dort nicht lokal gezüchtete Produkte mitgeliefert werden, so dass sie selbst im Supermarkt einkaufen gehen. Dort wird die Strahlenbelastung allerdings nicht klar angezeigt, und auf Fragen, ob sie gemessen worden sei, gibt es nur ausweichende Antworten: „Wir messen und das Gemüse ist sicher.“ Die Werte werden auch auf Nachfragen hin nicht bekannt gegeben, so dass sie zwangsläufig aus Gemüse ausweichen müssen, das in Westjapan angebaut wurde.
Ebenfalls schwierig ist es, Erzieherinnen einzustellen, obwohl der Hort das Doppelte vom lokalen Mindestlohn bietet. Viele Mitarbeiterinnen sind mit ihren Familien weggezogen, andererseits kommen seit Dezember wieder 45 Kinder, die teilweise aus öffentlichen Einrichtungen „zwangsversetzt” wurden. Die Integration ist anspruchsvoll, und die verbleibenden Erzieherinnen sind chronisch überarbeitet.
Die Hortleitung ist sich nicht sicher, was bedrohlicher ist: die unsichtbare und ungreifbare Belastung durch radioaktive Strahlung oder die ganz konkrete Belastung durch die täglich erfahrenen Einschränkungen. Die Mitarbeiter versuchen also so gut wie es Laien möglich ist, die Strahlenbelastung zu mindern und eine normale Kinderbetreuung anzubieten.
Auf den Fensterbänken stehen gefüllte Wasserflaschen. Das schirmt, so haben eigene Messungen ergeben, ein wenig die Strahlung ab. Da der neue Standort zwar außerhalb des 30-Kilometer Gürtels liegt, aber dennoch beinahe gleich hohe Strahlenwerte wie der alte Hort registrierte, wurden die Sommerferien zur Dekontaminierung des Spielplatzes benutzt. Ein einfaches Abspritzen reicht nicht aus, das würde die Partikel nur von A nach B befördern. Also wurden sämtliche metallene Spielplatzgeräte abgeschliffen – an Roststellen mit besonderer Sorgfalt – und dann mit nassen Küchentüchern und Frischhaltefolie umwickelt, um die verstrahlten Substanzen aufzusaugen. Danach wurden sie neu lackiert. Holzgeräte wurden abgebaut und entsorgt. Die Erde wurde um mindestens fünf Zentimeter abgetragen, an einigen Stellen wie beispielsweise am Ende der Rutsche – dort sammelt sich Regenwasser – sogar um dreißig. Betonflächen konnten noch nicht gereinigt werden.
Nun dürfen die Kinder jeden Tag bis zu einer halben Stunde im Freien spielen. Bäume, die nicht dekontaminiert werden konnten, sollen sie nicht anfassen, und die Buddelkiste, bisher der beliebteste Ort zum Spielen, ist fest mit einer Plane zugedeckt. Mundschutz und Hut sowie lange Hosen und Ärmel sind Pflicht. Nach der halben Stunde geht es wieder hinein, die Kinder werden zuerst abgebürstet, dann wird Feinstaub mit einer klebrigen Rolle entfernt, schließlich müssen sie die Füße auf klebrigem Papier abtreten, die Hände waschen und gurgeln.
Zuerst sahen die Erzieherinnen ein Problem, wie sie den Kindern die Regeln verständlich machen sollen. Als kirchlicher Hort beten alle Kinder zu einem unsichtbaren Gott, also vielleicht könnte man die unsichtbare Strahlung ähnlich erklären… Aber soll man die Strahlung mit Gott vergleichen…? Und ihn dann abbürsten und ausspucken...?
Es waren keine Erklärungen nötig. Keines der Kinder macht zu den Regeln einen Mucks oder ärgert sich über die Prozedur, kein Kind hat je gebeten, in der Buddelkiste spielen zu dürfen, keinem Kind musste von den Erzieherinnen das Anfassen der Bäume verboten werden, das wussten sie alles schon von zuhause. Die Vierjährigen fragen morgens fröhlich die Erzieherinnen, wieviel Sievert denn heute gemessen wurden.
Da schwang enormer Schmerz in Frau Endos Stimme mit. Eigentlich sollten Kinder in dem Alter neugierig und frech sein, die Grenzen testen und sich auch mal über Verbote hinwegsetzen. Hier wächst nun eine Generation heran, die es nur so kennt, dass alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, eben gefährlich und daher verboten ist.
Es gibt immer wieder Eindrücke und Berichte, die mir einfach die Kehle zuschnüren.
Man lernt nie aus. Nach nunmehr sechs Fahrten ins Tsunami-Gebiet in der Präfektur Iwate hatte ich mir eingebildet, mit der Zerstörung und der Trauer infolge der Naturkatastrophe umgehen zu können.
Und dann gibt es doch immer wieder Eindrücke und Berichte, die mir einfach die Kehle zuschnüren.
Am Montag, den 9. Januar – einem Feiertag in Japan – veranstaltete der Kita-Shiku, also der „Bezirk Nord“ des Kirchenverbands Tokio, einen Tag der offenen Tür. Zu diesem Bezirk gehört auch die Kirche von Pfarrer Ohta, der uns in Iwate viele Kontakte verschafft hat. Zwei Gäste waren aus dem Nordosten eingeladen worden, um einen Bericht von der Lage vor Ort zu geben.
Am Vormittag sprach Frau Maruki, mit der auch wir seit Mai in regelmäßigem Kontakt stehen. Frau Maruki ist Mitglied im Vorstand und Organistin der Shinsei-Kirche in Kamaishi, die wir nach unseren Kräften beim Wiederaufbau unterstützen wollen. Ihr Ehemann ist Sozialreferent der Stadt.
Für viele im Publikum, die noch nicht (so makaber es klingen mag) das Glück hatten, selbst vor Ort an der Wiederauferstehung der Stadt teilnehmen zu dürfen, war es offenbar der erste Bericht aus erster Hand, der daher mit entsprechend starker Erschütterung aufgenommen wurde. Mir war die Geschichte vom Überleben der Marukis aus den ausgiebigen persönlichen Gesprächen der letzten Monate geläufig, daher blieb bei mir etwas anderes hängen.
Bei einer kirchlichen Veranstaltung zu einer Katastrophe dieses Ausmaßes wird selbstverständlich auch die Frage gestellt, wie Gott so etwas zulassen könne. Frau Maruki zitierte die Erklärung eines katholischen Priesters, der als Freiwilliger in Kamaishi geholfen hatte (wer möchte, kann dabei „Gott“ durch „Natur“ ersetzen).
Im japanischen gibt es zwei Wörter, die auf Deutsch mit „Erdbeben“ übersetzt werden, ji-shin und shin-sai. Das erste setzt sich aus den Schriftzeichen für Erde (ji) und Schwanken (shin) zusammen, das zweite ebenfalls aus Schwanken (shin) und Unheil bzw. Schaden (sai) zusammen. Jishin ist also das Beben selbst, während Shinsai ein wenig holperig als „Bebenschaden” übersetzt werden kann.
Das Beben selbst (jishin) ist kein Menschenwerk und mag als von Gott gebracht betrachtet werden. Aber Gott kann nicht dafür verantwortlich gemacht werden, dass Menschen in ihrer Hybris sich auf Deiche und Bollwerke verlassen haben, die sie selbst aber nicht hoch und stark genug gebaut hatten, dass Menschen deshalb trotz der Warnungen über die öffentlichen Lautsprechersysteme nicht rechtzeitig die Flucht begonnen haben, sondern Häuser, Autos und andere Besitztümer sichern wollten, und dass Menschen ohne eine realistische Einschätzung der Risiken ein Atomkraftwerk direkt an die Küste eines Erdbebengebiets gebaut haben.
Da ist was dran.
Und so war auch eine Brücke zum zweiten Vortrag am Nachmittag geschlagen. Frau Endo leitet den kirchlichen Hort „Sei-ai“ im Stadtteil Haramachi von Minami-Soma in Fukushima, 25,6 Kilometer nördlich des havarierten AKW. Der Name „Minami-Soma“ dürfte seit März ausnahmslos allen Japanern aus den Nachrichten ein Begriff sein. Die Auswirkungen der AKW-Havarie allerdings sind von auswärts kaum intuitiv begreifbar.
Nachdem die Erde sich am 11. März ein wenig beruhigt hatte, versammelten die Erzieherinnen die Kinder auf dem Spielplatz, wo sie sie vor herabstürzenden Gegenständen sicherer wussten als im Gebäude. Dort wurden sie dann nach und nach von den Eltern abgeholt. Gefährdung durch Tsunami bestand für den Hort nicht, da er weit genug landeinwärts liegt. An der Küste traf die Welle um 15:15 Uhr ein, 29 Minuten nach dem Beben.
Schon um 21:23 Uhr wurde der Befehl zur Evakuierung im Radius von drei Kilometern vom AKW gegeben, um 5:44 Uhr am nächsten Morgen wurde die Zone auf zehn Kilometer ausgeweitet, am selben Abend um 18:25 Uhr (etwa drei Stunden nach der ersten Explosion im AKW) auf 20 Kilometer. Am 15. März ab 11:00 Uhr vormittags (dem Tag nach der zweiten Explosion) wurde allen Bewohnern im Gürtel von 20 bis 30 Kilometern vom AKW befohlen, ihre Häuser nicht mehr zu verlassen, so dass am selben Tag der Hort, der in diesem Gürtel liegt, auf unbefristete Zeit – bis zur Stabilisierung der Lage im AKW – geschlossen wurde.
Das Ausgangsverbot wurde erst am 22. April aufgehoben, als die Zone bis 20 Kilometer zum absoluten Sperrgebiet erklärt wurde und der Gürtel von 20 bis 30 Kilometern auf Evakuierungsvoralarm gesetzt wurde. In diesem Gürtel sollten sich ab dem Tag keine Kinder, Schwangere, Pflegebedürftige oder stationär behandelte Patienten mehr aufhalten, alle Kindertagesstätten und Schulen wurden zwangsgeschlossen. Da aber das Ausgangsverbot aufgehoben worden war, kamen seitdem einige Familien aus ihren Evakuierungsstätten in ihre Häuser zurück, so dass die Erzieherinnen verstärkt Hausbesuche machten, um sich nach dem Befinden der Kinder zu erkunden.
Was sie sahen, war erschreckend. Apathische Kinder, die sich seit Tagen nur mit Fernsehen und Videospielen beschäftigen konnten. Lethargische Eltern, die den ganzen Tag im Schlafanzug rumliefen und vor Stress kurz vorm Zusammenbruch standen. Mangelhafte Ernährung durch Instantsuppen, weil keine Lebensmittel in die Läden der Umgebung geliefert wurden und es kein Benzin gab, um weiter weg einkaufen zu fahren – die Fuhrunternehmen und Tankstellenbetreiber weigerten sich, in das Gebiet zu fahren, und auch Umzugsfirmen fanden sich lange nicht bereit, die Möbel des neuen Pfarrers nach Minami-Soma zu bringen. Erwachsene, die keinerlei Motivation zum Arbeiten verspüren, weil sie durch die Kompensationszahlungen der Stromfirma erstmal über die Runden kommen – was auch heute, zehn Monate nach Beginn der Havarie, noch bei vielen der Fall ist; die Pachinko-Spielhöllen haben Hochkonjunktur. Sie finden sich damit ab, dass das Leben bis auf den Strahlenmesser um den Hals auf eine neue Weise normal und nunmehr kostenlos ist.
Sogar Frau Endo, die sich als ausgesprochene Gegnerin von Atomkraft vorstellt, erklärt, dass momentan niemand auch nur den Nerv habe, die Stromfirma TEPCO an den Pranger zu stellen. Minami-Soma ist für sie Heimat, und sie hat genug damit zu tun, ihr Leben dort weiter zu führen. Was als kleine Extra-Gemeinheit noch das i-Tüpfelchen draufsetzt, ist die Tatsache, dass Minami-Soma wie die ganze Präfektur Fukushima garnicht von TEPCO, also der „Tokyo Electric Power Company”, mit Strom versorgt wird, sondern von Tohoku Electric. Sie haben anderer Leute Dreck vor der Tür.
Der Hort wollte jedenfalls ein wenig Abhilfe schaffen und hat ab dem 25. April bis Ende Juli heimlich wieder die Pforten geöffnet, um den Kindern etwas Platz zum Herumtollen und den Eltern einen Ort zum Gespräch zu geben. Heimlich deshalb, weil die Stadtverwaltung in typisch-bürokratischer Manier daran festhielt, dass der Betrieb von Kindertagesstätten in der Voralarmzone nicht gestattet sei. Die Gas- und Wasserversorgung wurde erst nach mehreren Behördengängen unter der Hand wieder autorisiert, weil der Sachbearbeiter ein Einsehen hatte, dass solch ein Ort in der Stadt notwendig sei. Der Pfarrer hatte schließlich durchgesetzt, dass der Ort als Kirche betrieben würde, damit war das notwendige Schlupfloch gefunden.
Am 6. Mai wurde dann parallel dazu außerhalb des 30-Kilometer Gürtels ein Behelfshort mit drei anderen, privaten Kindergärten eröffnet. Das gestaltete sich schwierig, weil der geteilte Raum in einem buddhistischen Tempel lag, so dass der christliche Erziehungsansatz auf Ablehnung stieß. Außerdem öffnete sich die Tür direkt auf eine recht stark befahrene Straße. Von ursprünglich 100 betreuten Kindern kamen da gerade mal vier zurück. Obwohl nach offiziellen Zahlen die Bevölkerung von Minami-Soma nur um unter zehn Prozent auf circa 66000 Einwohner zurück gegangen sein sollte, war der Ort eine Geisterstadt. Inoffizielle Schätzungen beliefen sich auf etwas über 3000 Einwohner, der Rest hatte sich einfach in der Eile nicht abgemeldet. Am 27. Juni konnte der Hort in ein neues Quartier ziehen, ein eigener Raum mit einem Spielplatz davor. Die 15 Kinder, die wieder angemeldet wurden, durften allerdings erstmal nur bei geschlossenen Türen und Fenstern spielen.
Große Probleme bereitet der Einkauf von Lebensmitteln für das Mittagessen. Gemüse wurde dem Hort durch einen kleinen Laden am alten Standort angeliefert, der aber in Folge der Katastrophe schließen musste. Bei anderen Gemüseläden sind sie nicht sicher, ob dort nicht lokal gezüchtete Produkte mitgeliefert werden, so dass sie selbst im Supermarkt einkaufen gehen. Dort wird die Strahlenbelastung allerdings nicht klar angezeigt, und auf Fragen, ob sie gemessen worden sei, gibt es nur ausweichende Antworten: „Wir messen und das Gemüse ist sicher.“ Die Werte werden auch auf Nachfragen hin nicht bekannt gegeben, so dass sie zwangsläufig aus Gemüse ausweichen müssen, das in Westjapan angebaut wurde.
Ebenfalls schwierig ist es, Erzieherinnen einzustellen, obwohl der Hort das Doppelte vom lokalen Mindestlohn bietet. Viele Mitarbeiterinnen sind mit ihren Familien weggezogen, andererseits kommen seit Dezember wieder 45 Kinder, die teilweise aus öffentlichen Einrichtungen „zwangsversetzt” wurden. Die Integration ist anspruchsvoll, und die verbleibenden Erzieherinnen sind chronisch überarbeitet.
Die Hortleitung ist sich nicht sicher, was bedrohlicher ist: die unsichtbare und ungreifbare Belastung durch radioaktive Strahlung oder die ganz konkrete Belastung durch die täglich erfahrenen Einschränkungen. Die Mitarbeiter versuchen also so gut wie es Laien möglich ist, die Strahlenbelastung zu mindern und eine normale Kinderbetreuung anzubieten.
Auf den Fensterbänken stehen gefüllte Wasserflaschen. Das schirmt, so haben eigene Messungen ergeben, ein wenig die Strahlung ab. Da der neue Standort zwar außerhalb des 30-Kilometer Gürtels liegt, aber dennoch beinahe gleich hohe Strahlenwerte wie der alte Hort registrierte, wurden die Sommerferien zur Dekontaminierung des Spielplatzes benutzt. Ein einfaches Abspritzen reicht nicht aus, das würde die Partikel nur von A nach B befördern. Also wurden sämtliche metallene Spielplatzgeräte abgeschliffen – an Roststellen mit besonderer Sorgfalt – und dann mit nassen Küchentüchern und Frischhaltefolie umwickelt, um die verstrahlten Substanzen aufzusaugen. Danach wurden sie neu lackiert. Holzgeräte wurden abgebaut und entsorgt. Die Erde wurde um mindestens fünf Zentimeter abgetragen, an einigen Stellen wie beispielsweise am Ende der Rutsche – dort sammelt sich Regenwasser – sogar um dreißig. Betonflächen konnten noch nicht gereinigt werden.
Nun dürfen die Kinder jeden Tag bis zu einer halben Stunde im Freien spielen. Bäume, die nicht dekontaminiert werden konnten, sollen sie nicht anfassen, und die Buddelkiste, bisher der beliebteste Ort zum Spielen, ist fest mit einer Plane zugedeckt. Mundschutz und Hut sowie lange Hosen und Ärmel sind Pflicht. Nach der halben Stunde geht es wieder hinein, die Kinder werden zuerst abgebürstet, dann wird Feinstaub mit einer klebrigen Rolle entfernt, schließlich müssen sie die Füße auf klebrigem Papier abtreten, die Hände waschen und gurgeln.
Zuerst sahen die Erzieherinnen ein Problem, wie sie den Kindern die Regeln verständlich machen sollen. Als kirchlicher Hort beten alle Kinder zu einem unsichtbaren Gott, also vielleicht könnte man die unsichtbare Strahlung ähnlich erklären… Aber soll man die Strahlung mit Gott vergleichen…? Und ihn dann abbürsten und ausspucken...?
Es waren keine Erklärungen nötig. Keines der Kinder macht zu den Regeln einen Mucks oder ärgert sich über die Prozedur, kein Kind hat je gebeten, in der Buddelkiste spielen zu dürfen, keinem Kind musste von den Erzieherinnen das Anfassen der Bäume verboten werden, das wussten sie alles schon von zuhause. Die Vierjährigen fragen morgens fröhlich die Erzieherinnen, wieviel Sievert denn heute gemessen wurden.
Da schwang enormer Schmerz in Frau Endos Stimme mit. Eigentlich sollten Kinder in dem Alter neugierig und frech sein, die Grenzen testen und sich auch mal über Verbote hinwegsetzen. Hier wächst nun eine Generation heran, die es nur so kennt, dass alles, was nicht ausdrücklich erlaubt ist, eben gefährlich und daher verboten ist.
Es gibt immer wieder Eindrücke und Berichte, die mir einfach die Kehle zuschnüren.
Freitag, 6. Januar 2012
Neujahr 2012
Neujahr 2011 10:30 Uhr mit Sektempfang
Liebe Gemeinde,
ein außerordentliches Jahr liegt hinter uns.
Voller Dramatik, voller gesellschaftlicher Umbrüche, Existenznöte, Staatspleiten, Schicksalsschläge, Katastrophen, aber auch voller Neuanfänge, zaghaft, aber voller Hoffnung.
Dieses vergangene Jahr hat uns hier in Japan von einem Augenblick auf den anderen auf schreckliche Weise Neues zugemutet: Viele Menschen haben ihre Existenz, ihr Leben, ihre Heimat verloren. Viele Angehörige der deutschen Community sind aus Japan weggegangen. Nur manche sind zurückgekehrt.
Für uns als Gemeinde hat sich manches verändert und wird sich noch manches verändern, Arbeit hat sich vermehrt, das neue Pfarrhaus steht, die Nachfolge-Bewerber kündigen sich an.
Wir haben in Folge der Tsunami-Katastrophe viel Gutes erfahren dürfen: mehrere tausend Spenderinnen und Spendern haben uns Geld anvertraut für die Opfer der Katastrophe und spenden immer noch beträchtliche Summen. Und wir durften in Iwate viele wundervolle Menschen kennen lernen, die uns geholfen haben, die Spenden an die richtigen Orte zu bringen.
So gehen wir aus diesem vergangenen Jahr bereichert und beschenkt ins Neue.
Die Jahreslosung dieses Jahres 2012 ist der berühmte Satz des Apostels Paulus: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Das klingt zunächst wie eine nachträgliche Interpretation des vergangenen Jahres. Bei so viel Unglück ist doch entscheidend gewesen, dass sich schwache Menschen zusammen gefunden haben, getan haben, was sie konnten, damit sich eine Zukunft nach der Katastrophe öffnet.
Manche haben sich in ihrer Ohnmacht geopfert und damit etwas bewegt.
Ich denke an jenen tunesischen Händler, der es satt hatte und auch gar nicht die Mittel, schon wieder Bestechungsgeld zu zahlen, einfach nur, um seinem Alltag in Ruhe nachgehen zu können. Und der vor sein Rathaus gegangen ist, sich mit Benzin übergossen und angesteckt hat. Dieses Fanal der äußersten Ohnmacht eines Menschen, der in seinem Leben nicht erfahren hat, dass er je sein Recht bekommt, hat die Länder im mittleren Osten in Bewegung gebracht, Regime gestürzt und Neuanfänge zaghaft auf den Weg gebracht.
Gottes Kraft in den Schwachen mächtig.
Welten haben sich bewegt, aus schrecklichem Unglück wird nach und nach ein neues Leben. Ich denke noch einmal an die Aufführung der 9. Symphonie von Beethoven in Kamaishi, wo die Menschen so entschlossen „Freude“ gesungen haben, gegen alle dunklen Erfahrungen angesungen, die Freude schon einmal anklingen ließen, auch wenn sie im Alltag vielleicht erst viel später eine Erfahrung wird. Hier wurde neue Hoffnung in Musik gekleidet, für alle hörbar.
Gottes Kraft in den Schwachen.
Lassen Sie mich den Paulinischen Satz einmal im Zusammenhang lesen: 2. Korinther 12, 6 - 10
"...wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark."
Bei Paulus sehe ich, wie es mir selber auch geht und Ihnen vielleicht auch: dass er Schwierigkeiten hat, sich seine Schwäche einzugestehen, sich gar mit seiner Schwäche abzufinden. Wie viel näher liegt es uns Menschen, unsere Schwächen zu verachten, zu verstecken, weg zu trainieren. Ein Ratschlag aus der Psychotherapie heißt: „Verwandle deine Schwächen in deine Stärken“, als ob es so gar nichts wäre, sein Leben in jede gewünschte Richtung zu lenken und jederzeit souverän zu bestimmen, wie ich mich gerade fühlen möchte.
Paulus hat erst diesen Pfahl im Fleisch gebraucht, den er mit keinem Trick weg bekommt, um etwas über sich und seinen Gott zu lernen:
Ich höre das folgendermaßen:
Du, Mensch, mach dir deine Verwundbarkeit nicht weg, sie ist das eigentlich Menschliche an dir. Wenn du verwundbar bleibst, bleibst du offen und ehrlich deinen Mitmenschen gegenüber. Dann bewahrst du dir die nötige Demut im Umgang mit den anderen, dann schaust du nicht hochmütig auf andere herab, die schon schwächeln, während du noch topp fit allen Anforderungen genügst. Dann kannst du vielleicht auch deinen Selbsthass ablegen im Gedanken an deine Schwachheit.
Es geht nicht um deine glänzende „Performance“ in der Begegnung mit anderen. Es geht nicht um schimmernde, makellose Fassaden, und was dahinter ist, geht niemanden etwas an. Solche Täuschung der Öffentlichkeit schafft Distanz, schafft Misstrauen und Machtmissbrauch.
Es gibt durchaus auch den Machtmissbrach dessen, der sich schwach darstellt: den Egoismus des kranken Menschen, der alle nach seiner Pfeife tanzen lässt und die Mitleidsgefühle seiner Umgebung ausbeutet. Das ist hier nicht gemeint!
Ich höre Paulus so:
Wer verwundbar ist, ist offen für den anderen, stellt sich nicht über ihn, sondern auf gleiche Höhe. Wir sind Menschen und wir sind uns genau an diesem Punkt gleich, unabhängig davon, was wir im Alltag gelten mögen:
Jede und jeder von uns lebt allein aus der Gnade Gottes, nicht aus sich selber, nicht aus seiner Stärke, sondern sogar aus seiner Schwäche, wenn er, wenn sie, die denn zulassen mag.
Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Dieser Satz stellt uns Menschen alle vor Gott auf eine gleiche Stufe. In ihm können wir einander begegnen, einander als Menschen erkennen, einander helfen und heilen.
In der Schwäche liegt das Geheimnis der Kraft Gottes verborgen.
Gott helfe uns in diesem kommenden Jahr, das zu entdecken: meine Schwäche ist nicht einfach mein fehlender Erfolg oder mein Versagen, sondern, wo ich verwundbar, wo ich schwach bin, will Gott mir zeigen, dass ich in allem, was ich bin und habe auf ihn vertrauen kann. Gott trägt und hält mein Leben. Gott zeigt die Wege, die sich öffnen, oft erst, wenn kein anderer Ausweg mehr möglich ist. Gott führt und begleitet. In diesem Vertrauen lassen Sie uns in das Jahr 2012 gehen, das so viel Neues und noch gänzlich Unbekanntes bereithält. Dass wir alles aus Gottes Hand nehmen und voller Vertrauen Schritt für Schritt machen können. Dazu segne uns Gott. Amen.
Elisabeth Hübler-Umemoto
Liebe Gemeinde,
ein außerordentliches Jahr liegt hinter uns.
Voller Dramatik, voller gesellschaftlicher Umbrüche, Existenznöte, Staatspleiten, Schicksalsschläge, Katastrophen, aber auch voller Neuanfänge, zaghaft, aber voller Hoffnung.
Dieses vergangene Jahr hat uns hier in Japan von einem Augenblick auf den anderen auf schreckliche Weise Neues zugemutet: Viele Menschen haben ihre Existenz, ihr Leben, ihre Heimat verloren. Viele Angehörige der deutschen Community sind aus Japan weggegangen. Nur manche sind zurückgekehrt.
Für uns als Gemeinde hat sich manches verändert und wird sich noch manches verändern, Arbeit hat sich vermehrt, das neue Pfarrhaus steht, die Nachfolge-Bewerber kündigen sich an.
Wir haben in Folge der Tsunami-Katastrophe viel Gutes erfahren dürfen: mehrere tausend Spenderinnen und Spendern haben uns Geld anvertraut für die Opfer der Katastrophe und spenden immer noch beträchtliche Summen. Und wir durften in Iwate viele wundervolle Menschen kennen lernen, die uns geholfen haben, die Spenden an die richtigen Orte zu bringen.
So gehen wir aus diesem vergangenen Jahr bereichert und beschenkt ins Neue.
Die Jahreslosung dieses Jahres 2012 ist der berühmte Satz des Apostels Paulus: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Das klingt zunächst wie eine nachträgliche Interpretation des vergangenen Jahres. Bei so viel Unglück ist doch entscheidend gewesen, dass sich schwache Menschen zusammen gefunden haben, getan haben, was sie konnten, damit sich eine Zukunft nach der Katastrophe öffnet.
Manche haben sich in ihrer Ohnmacht geopfert und damit etwas bewegt.
Ich denke an jenen tunesischen Händler, der es satt hatte und auch gar nicht die Mittel, schon wieder Bestechungsgeld zu zahlen, einfach nur, um seinem Alltag in Ruhe nachgehen zu können. Und der vor sein Rathaus gegangen ist, sich mit Benzin übergossen und angesteckt hat. Dieses Fanal der äußersten Ohnmacht eines Menschen, der in seinem Leben nicht erfahren hat, dass er je sein Recht bekommt, hat die Länder im mittleren Osten in Bewegung gebracht, Regime gestürzt und Neuanfänge zaghaft auf den Weg gebracht.
Gottes Kraft in den Schwachen mächtig.
Welten haben sich bewegt, aus schrecklichem Unglück wird nach und nach ein neues Leben. Ich denke noch einmal an die Aufführung der 9. Symphonie von Beethoven in Kamaishi, wo die Menschen so entschlossen „Freude“ gesungen haben, gegen alle dunklen Erfahrungen angesungen, die Freude schon einmal anklingen ließen, auch wenn sie im Alltag vielleicht erst viel später eine Erfahrung wird. Hier wurde neue Hoffnung in Musik gekleidet, für alle hörbar.
Gottes Kraft in den Schwachen.
Lassen Sie mich den Paulinischen Satz einmal im Zusammenhang lesen: 2. Korinther 12, 6 - 10
"...wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, dass er von mir weiche. Und er hat zu mir gesagt: Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark."
Bei Paulus sehe ich, wie es mir selber auch geht und Ihnen vielleicht auch: dass er Schwierigkeiten hat, sich seine Schwäche einzugestehen, sich gar mit seiner Schwäche abzufinden. Wie viel näher liegt es uns Menschen, unsere Schwächen zu verachten, zu verstecken, weg zu trainieren. Ein Ratschlag aus der Psychotherapie heißt: „Verwandle deine Schwächen in deine Stärken“, als ob es so gar nichts wäre, sein Leben in jede gewünschte Richtung zu lenken und jederzeit souverän zu bestimmen, wie ich mich gerade fühlen möchte.
Paulus hat erst diesen Pfahl im Fleisch gebraucht, den er mit keinem Trick weg bekommt, um etwas über sich und seinen Gott zu lernen:
Ich höre das folgendermaßen:
Du, Mensch, mach dir deine Verwundbarkeit nicht weg, sie ist das eigentlich Menschliche an dir. Wenn du verwundbar bleibst, bleibst du offen und ehrlich deinen Mitmenschen gegenüber. Dann bewahrst du dir die nötige Demut im Umgang mit den anderen, dann schaust du nicht hochmütig auf andere herab, die schon schwächeln, während du noch topp fit allen Anforderungen genügst. Dann kannst du vielleicht auch deinen Selbsthass ablegen im Gedanken an deine Schwachheit.
Es geht nicht um deine glänzende „Performance“ in der Begegnung mit anderen. Es geht nicht um schimmernde, makellose Fassaden, und was dahinter ist, geht niemanden etwas an. Solche Täuschung der Öffentlichkeit schafft Distanz, schafft Misstrauen und Machtmissbrauch.
Es gibt durchaus auch den Machtmissbrach dessen, der sich schwach darstellt: den Egoismus des kranken Menschen, der alle nach seiner Pfeife tanzen lässt und die Mitleidsgefühle seiner Umgebung ausbeutet. Das ist hier nicht gemeint!
Ich höre Paulus so:
Wer verwundbar ist, ist offen für den anderen, stellt sich nicht über ihn, sondern auf gleiche Höhe. Wir sind Menschen und wir sind uns genau an diesem Punkt gleich, unabhängig davon, was wir im Alltag gelten mögen:
Jede und jeder von uns lebt allein aus der Gnade Gottes, nicht aus sich selber, nicht aus seiner Stärke, sondern sogar aus seiner Schwäche, wenn er, wenn sie, die denn zulassen mag.
Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Dieser Satz stellt uns Menschen alle vor Gott auf eine gleiche Stufe. In ihm können wir einander begegnen, einander als Menschen erkennen, einander helfen und heilen.
In der Schwäche liegt das Geheimnis der Kraft Gottes verborgen.
Gott helfe uns in diesem kommenden Jahr, das zu entdecken: meine Schwäche ist nicht einfach mein fehlender Erfolg oder mein Versagen, sondern, wo ich verwundbar, wo ich schwach bin, will Gott mir zeigen, dass ich in allem, was ich bin und habe auf ihn vertrauen kann. Gott trägt und hält mein Leben. Gott zeigt die Wege, die sich öffnen, oft erst, wenn kein anderer Ausweg mehr möglich ist. Gott führt und begleitet. In diesem Vertrauen lassen Sie uns in das Jahr 2012 gehen, das so viel Neues und noch gänzlich Unbekanntes bereithält. Dass wir alles aus Gottes Hand nehmen und voller Vertrauen Schritt für Schritt machen können. Dazu segne uns Gott. Amen.
Elisabeth Hübler-Umemoto
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