Dienstag, 25. Oktober 2011

Friede, Freude, Eierkuchen ...

Ich setzte mich heute, sieben Monate und vierzehn Tage seit dem Erdbeben, nach dem Frühstück in Morgenrock und Filzpantoffeln auf meine Chaiselongue, eine Tasse Kaffee auf dem Beistelltisch, hätte mir gerne die Meerschaumpfeife angesteckt, aber ich besitze keine. Also entschied ich, mich statt Tobak mit der Tageszeitung zu entspannen.

Der Frieden währte bis Seite Drei, da berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo: “Erhöhter Damm verhinderte Katastrophe in Ibaraki Atomkraftwerk”.

Ibaraki ist die Präfektur an der Pazifikküste südlich von Fukushima, in anderen Worten: eins näher dran an Tokio. Von meiner Haustür ist es 130 Kilometer entfernt, bis zum havarierten AKW in Fukushima sind es 255 Kilometer. Der Artikel interessierte mich also.

Kurz zusammengefasst, ganz genau wie in Fukushima waren die Annahmen zur maximalen Höhe eines Tsunami für das AKW in Ibaraki blauäugig niedrig. Man ging von nicht mehr als 4,86 Metern aus und hatte dafür einen Damm von 4,90 Metern Höhe errichtet. Wohl gemerkt, ganze vier Zentimeter! Die Regierung in der Präfektur hatte nochmal nachgerechnet und im Oktober 2007 herausgefunden, dass Tsunami in der näheren Umgebung des AKW durchaus sechs bis sieben Meter hoch werden könnten. Der Betreiber, Japan Atomic Power (nicht TEPCO), begann daher freiwillig, den Damm auf 6,1 Meter aufzustocken, um die Diesel-Notstromaggregate für die Seewasserkühlpumpen zu schützen.

Der Tsunami am 11. März erreichte 5,3 bis 5,4 Meter, war also tatsächlich höher als der ursprüngliche Damm. Wie in Fukushima Eins wurde die externe Stromversorgung für das AKW unterbrochen, zwei der drei Pumpen konnten aber durch Generatoren weiter betrieben werden, so dass der Reaktor kontrolliert heruntergefahren werden konnte. Sonst hätte es hier durchaus zwei Atomkatastrophen geben können. Ich habe starke Zweifel, dass sich das hätte unter Kontrolle bringen lassen. Schon Fukushima hat die Selbstverteidigungsstreitkräfte und die Feuerwehren, ganz zu schweigen von der Politik, enorm überstrapaziert.

TEPCO hatte übrigens 2006 selbst herausgefunden, dass die interne Einschätzung von 2002, ein 5,7 Meter hoher Tsunami sei zu befürchten, zu optimistisch waren. 2008 kamen sie dann zu dem Ergebnis, dass die Welle über zehn Meter hoch werden könnte (es wurden über 15). Kurz vor dem Beben, am 7. März 2011, berichteten sie darüber an die “National Industrial Safety Agency”. Schritt für Schritt brauchten sie also zwei oder drei Jahre, konkrete Maßnahmen wurden allerdings keine getroffen. Der Rest ist bekannt. Und dabei war eigentlich seit Generationen bekannt, dass die Erdbeben 1896 und 1933 an der Pazifikküste zu über zehn Meter hohen Tsunami geführt hatten, mir ist völlig schleierhaft, worauf TEPCO’s ursprüngliche Berechnungen beruhten (eigentlich ist es mir total klar: auf Profitgier).

Zur Strahlenproblematik hat sich eine mir völlig unverständliche Nonchalance eingeschlichen. Anfang des Monats wurden in Tokio und Umgebung an einigen isolierten Stellen stark erhöhte Strahlenwerte gemessen. Zuerst war das Anlass zu geringfügiger Panik in den Nachrichten, aber schon nach einem Tag wurde Entwarnung gegeben, die Strahlung sei durch Radium verursacht, aus dem AKW in Fukushima war aber nur Jod und Caesium ausgetreten, von dort könne es also nicht sein. Einen weiteren Tag später folgte die Erklärung, es seien lippenstift-große Flakons unter einem Haus an der Stelle in Tokio gefunden worden (ältere Holzhäuser stehen hier oft auf Stelzen), die Flüssigkeit darin würde untersucht, sei aber eindeutig Ursache der erhöhten Werte.

Na dann. Friede, Freude, Eierkuchen.

Bin ich der Einzige hier, der sich noch fragt, weshalb radioaktive Substanzen unter einem Einfamilienhaus aufgefunden werden? Ist das nur für mich noch Anlass zu Sorge anstatt der sich allgemein breitmachenden Erleichterung? Und war der Fund der Flakons in Tokio eine ausreichende Erklärung für die zuvor in Yokohama und später in Chiba gemessenen stark erhöhten Werte, über die in den Nachrichten dann nicht mehr aufgeklärt wurde?

Die Arbeiten in Fukushima gehen zwar bisher schneller als zugesagt voran, aber auch das ist vielleicht mehr Glück und Zufall zuzuschreiben. Ich drücke die Daumen.

Jesper Weber

Dienstag, 11. Oktober 2011

Polinahe in Kamaishi

Unsere Hawaiiband heißt POLINAHE - das bedeutet: "sweet and mellow music" - und besteht aus Jimmy Miranda mit der Ukulele, John Torio am Bass und Olaf Eckhoff mit der Gitarre. Jimmy kommt aus Big Island, Hawaii, lebt in Osaka und ist Lehrer an einer Oberschule. John ist Japaner, Manager, hat lange in Hawaii gelebt. Seine Frau Miwako ist Hulalehrerin. Miwako, John und ich fuhren am Samstag nach Kamaishi, Jimmy ist direkt von Osaka nach Hanamaki geflogen. Am Samstag haben wir in Kamaishi im Kamaishi Hoikuen gespielt und Miwako hat dazu Hula getanzt. Dem Publikum, darunter auch der Lokalpolitiker Herr Goda, hat unsere Musik und der Hulatanz von Miwako sichtlich Spass gemacht, und viele der Zuhörer haben sich nach dem Konzert bei uns herzlich bedankt; man konnte wirklich spüren, dass die Abwechslung gut getan hat.


In Kamaishi waren wir bei Frau Inoue zu Gast, und wir haben einen sehr netten Abend mit dem Ehepaar Goda bei von Frau Inoue zubereiteten japanischen Speisen verbracht. Am nächsten Morgen auf der Fahrt nach Miyako konnten sich Jimmy, John und Miwako ein eigenes Bild von der Verwüstung durch den Tsunami machen. Wir haben einen kurzen Stopp bei der ASIA SYMPHONY gemacht, dem 6000-Tonnen-Frachter, der immer noch auf dem Kai auf dem Trockenen lag. Die Bilder von diesem Frachter, der sich mit der Nase durch die Kaimauer gebohrt hat und kurz vor einem Haus stehen geblieben ist, gingen ja um die Welt. Gerade letzte Woche las ich in der Japan Times (Foto: JT online), dass sie das Schiff nun endlich wieder ins Meer gehoben haben.


Obwohl im Vergleich zu meiner Reise Anfang Mai die Aufräumarbeiten des "Gareki" sehr weit vorangeschritten sind (es stinkt auch nicht mehr!), ist es traurig zu sehen, dass dort, wo früher Menschen wohnten jetzt nur freie unbewohnte Fläche ist - eine Wüstenlandschaft der ganz anderen Art.
In der Miyako-Kirche, in der alle Sitzplätze besetzt waren, gaben wir unser zweites Konzert. Wieder waren die Zuhörer/-schauer sichtlich gerührt und begeistert von unserer Musik. Das steht auch im Bericht der Lokalzeitung, der von unserer Veranstaltung berichtet.



Nach dem Konzert ging es mit dem Mietwagen voll Gepäck und Instrumenten nach Morioka, und von dort mit dem Shinkansen nach Tokyo zurück. Es war eine anstrengende, aber durchaus lohnende Reise. Wir wollten mit unserer Musik ein wenig hawaiianischen Sonnenschein und Unbekümmertheit in den Alltag der Bewohner dort bringen.
In Miyako, vor der Miyako-Kirche, entstand auch das Foto von dem neuen Kindergartenbus für den Hikari Yochien mit Pfarrer Moriwake. Der Kindergartenbus wurde von den Spendengeldern aus Bremen finanziert, um den alten Kindergartenbus, der beim Tsunami auf dem Gelände der Kirche stand und völlig überflutet und unbrauchbar war, zu ersetzen.
Aloha,
Olaf